Karin Schaeffer 03 - Die stumme Zeugin
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KAPITEL 1
Als ich Macs Arbeitszimmer betrat, drehte er sich zu mir um und warf mir einen Blick zu, als hätte ich ihn dabei erwischt, wie er sich heimlich Pornos im Internet anschaute. »Sorry, dass du das gesehen hast«, meinte er und schaltete hastig sein Notebook aus.
Seine schnelle Reaktion änderte nichts daran, dass sich das Bild auf dem Bildschirm unwiderruflich in mein Gedächtnis eingebrannt hatte: Eine Frau bohrte ihre rot lackierten Fingernägel in einen behaarten Männerrücken, während sich auf ihrem Gesicht entweder Lust oder Ekel widerspiegelte – in der Kürze der Zeit konnte ich das nicht eindeutig erkennen.
»Neuer Fall?«
»Bin schon seit einer Woche dran. Die Ehefrau ging davon aus, dass ihr Göttergatte sie betrügt. Und sie hat richtiggelegen. Volltreffer. Damit wäre die Sache abgehakt.«
Ich durchquerte den kleinen Raum und legte die Hand auf seine Stirn. »Du glühst ja.«
»Im Bett halte ich es einfach nicht mehr aus.«
»Man kann sich gegen Grippe impfen lassen, damit es einen nicht -«
»Jetzt geht das schon wieder los!«
Erwischt.
Wie oft hatte ich ihn gebeten, die Schutzimpfung nicht auf die lange Bank zu schieben? Unser Sohn Ben, seine Babysitterin Chali und ich hatten uns bereits vor zwei Monaten impfen lassen. Nur Mac, das Arbeitstier, hatte dafür keine Zeit erübrigen können. Und nun würde er vermutlich eine Woche lang flachliegen, unter Fieber und Gliederschmerzen leiden und sich ganz grässlich fühlen.
»Leg dich wieder hin, Schatz.«
Er hustete und schüttelte den Kopf. »Ich habe noch zu tun.«
»Es ist Sonntagabend. Deine Auftraggeberin muss diese Fotos nicht unbedingt heute zu Gesicht kriegen ... ganz im Gegenteil. Du tust ihr sogar einen Gefallen, wenn du sie noch ein bisschen warten lässt.«
»Da hast du auch wieder recht.« Er klappte das Notebook zu und sah zu mir hinüber.
Es war erst acht Uhr abends, und ich hatte Ben gerade zu Bett gebracht, doch bei Macs erschöpftem Blick hatte man das Gefühl, es wäre bereits Mitternacht.
»Wieso mache ich das eigentlich?«, fragte er sich laut. »Ich dachte, ich hätte die Polizeiarbeit satt, und deswegen habe ich ja auch das Handtuch geworfen. Nur – jedes Mal, wenn ich mit Billy rede.«
»Der, wie du ganz genau weißt, total überfordert ist.«
»... denke ich, ich werde nie wieder einen Fall bearbeiten, der eine echte Herausforderung darstellt.«
»Möchtest du etwa mit Billy tauschen und einen Serienmörder jagen, der die Polizei seit nunmehr zwei Jahren in Atem hält? Hast du diese Quälerei nicht längst hinter dir? Meinst du nicht, du bist -«
»Gelangweilt .«
»Du bist krank und erschöpft, und wenn du jetzt behauptest, du würdest gern die Fälle bearbeiten, mit denen sich Billy herumschlagen muss, schreibe ich das mal dem Fieberwahn zu.«
»Vielleicht sollte ich versuchen, wieder als Sicherheitsberater bei einem Unternehmen anzuheuern?«
»Komm jetzt. Geh bitte ins Bett.« Ich reichte ihm meine Hand, die er bereitwillig ergriff, ehe er sich erhob und kurz innehielt, um Kraft zu schöpfen. Unter leisem Stöhnen ließ er sich von mir durch den Flur zum Schlafzimmer führen. Ohne das Licht einzuschalten, brachte ich ihn ins Bett. Die Luft roch abgestanden, was dem Zimmer etwas Klaustrophobisches verlieh, aber draußen war es viel zu kalt, um das Fenster zu öffnen.
»Schlaf jetzt.« Ich gab ihm einen Kuss auf die Stirn. »Ich bin oben.«
Er schnarchte, ehe ich die Tür schloss.
Da meine beiden Männer, von denen einer bald seinen vierten Geburtstag feiern würde, fest schliefen, herrschte im Haus eine ungewöhnliche Ruhe. Leise stieg ich die Stufen in das obere Geschoss unserer Maisonette-Wohnung. Diese Aufteilung – das Schlafzimmer im unteren Stockwerk und die Wohnräume in der darüberliegenden Etage mit den hohen Decken – war typisch für die rötlich braunen Sandsteinhäuser in Brooklyn, sofern man die untere Hälfte bewohnte. Während ich das Wohnzimmer durchquerte, knarzten die Dielen unter meinen nackten Füßen, und als ich versehentlich gegen einen von Bens Spielzeuglastern trat, der dann gegen die Wand geschleudert wurde, gab es einen lauten Knall. Ich hielt unvermittelt inne und wartete, ob Ben oder Mac sich rührten, doch anscheinend hatten sie nichts gehört. In der Küche schaltete ich das Licht ein, setzte mich an den Tisch und überlegte, was ich jetzt tun sollte. Eine wohltuende Stille breitete sich im Haus aus, und mit einem Mal nahm ich Geräusche wahr, die
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