Postkarten
Wirtshaus in Barton, ihr Mann ist im Krieg, bei der Luftwaffe, verhaftet wurde. Ich hab’ nie dort gegessen und werd’s sicher nie tun. Sie hat diesen Kerl erschossen, Jim Irgendwas, hat da drüben fürs Stromwerk gearbeitet, mit seinem eigenen Gewehr. Hat anscheinend rumgeschnüffelt, durch die Fenster spioniert, um zu sehen, was sie so treibt, und da hat er einiges gesehen. Sie hat so’nen Koch, der ihr hilft,’nen Farbigen aus Südamerika, sie hat nicht gesagt, wie er heißt, aber der Mann vom Stromwerk hat gesehen, wie Mrs. Charles Renfrew den Koch geküßt hat, und da kommt er mit seiner Flinte rein. Sehen Sie, er war selber hinter ihr her. Sie sieht gut aus, wie es heißt. Sie nimmt ihm die Flinte ab und schießt auf ihn. Und er war tot. Als sie sie verhaftet haben, hat sie alles zugegeben, aber behauptet, daß es ein Unfall war. Hat sechs Kinder, das jüngste ist erst vier. Die armen kleinen Kinder. Hat alles in der Zeitung gestanden. Schrecklich, was?« Sie wartete darauf, daß Jewell anfing. Es gab nichts Schrecklicheres als Mrs. Charles Renfrews Sammlung von Verbrechen vor aller Ohren; und sie hatte die Geschichte erzählt, um Jewell Gelegenheit zu geben, die eigenen Sorgen zu relativieren. Sie beugte sich vor.
Jewell schob ihr die Tasse Tee hin; der Faden des Beutels hing über den Tassenrand. »Bei uns hat’s gestern abend eine kleine Überraschung gegeben. Loyal kommt zum Essen rein, steht mittendrin auf und sagt, daß Billy und er nach Westen ziehen. Sie sind gestern abend fort. Hat uns mehr oder weniger überrascht, aber so sind die jungen Leute heutzutage.«
»Ja, so was«, sagte Mrs. Nipple. »Da bleibt mir die Spucke weg. Ronnie wird sich ganz schön wundern. Er und Loyal waren doch so dicke Freunde.« Da ist etwas faul, dachte sie, so geradeheraus erzählt, ohne Einzelheiten, wer was gesagt hatte. Sie wußte, daß mehr dahintersteckte. Mink hatte sicher völlig durchgedreht. So wie Jewell es jetzt erzählt hatte, sah es nicht wie die Art Geschichte aus, die mit der Zeit üppiger wurde, sondern eher danach, daß es weniger wurde, daß es sich verdichtete zu einer von den Sachen, über die niemand redete, so daß in einem Jahr alles vergessen wäre. Solche Geschichten gab es genügend. Sie kannte selbst eine oder zwei. Das waren ernste Angelegenheiten. Sie hatte nie verstanden, warum Ronnie Loyal mochte, der nichts Besonderes war, nicht einmal innerhalb der Bloods mit ihrer Begabung, das Falsche zu tun, bis auf seine Kraft und seinen kernigen Hunger nach Arbeit. Aber ein Mann allein konnte diese Farm nicht wieder hochbringen. Zuviel lag im argen. Man mußte sich nur ansehen, wie sie seit den Zeiten des Großvaters heruntergekommen war, als sie tadellos umzäunt war, damit Pferde und schmucke Merinoschafe weiden konnten - damals gab’s nur drei Kühe für die eigene Butter und den eigenen Käse. Sie mochte Jewell ganz gern, aber die Frau war eine schlampige Haushälterin, ließ die Männer in der Arbeitskleidung ins Haus, überließ Staub und Spinnen das Regiment und war sich zu gut für die Arbeit im Milchraum.
»Na ja, Billy hat darauf gebrannt, fortzukommen, und ich kann’s ihr nicht zum Vorwurf machen. Aber es überrascht mich, daß Loyal mit ist. Er ist ein Landjunge von Grund auf. Sie wird merken, daß sie den Jungen vom Land wegtreiben, aber dem Jungen nicht das Land austreiben kann. Wird nicht leicht sein, die ganzen Kühe zu melken, mit Mink und Dub allein. Dub ist doch noch da, oder ist er wieder unterwegs?« Ihre Stimme klang jetzt so butterweich, daß sie einen wunden Hals geheilt hätte.
»Ist seit seinem Unfall eigentlich ständig hiergeblieben.
Aber Sie kennen ihn ja. Die zwei können nicht alles machen. Nicht den Hof in Schuß halten, nur die beiden allein. Wir werden vermutlich jemand anheuern müssen.«
»Sie werden niemand kriegen. Ronnie hat’s den ganzen vergangenen Winter, das Frühjahr und den Sommer über versucht, und er kennt im Umkreis von dreißig Kilometern jeden, der eine Heugabel halten kann, und ich sage Ihnen was: Das Beste, was er hat kriegen können, waren Schuljungen und hundertjährige Opas mit Holzbein und Gehstock. Auf manchen Höfen nehmen sie Mädchen. Wie steht’s mit Mernelle? Kann sie nicht melken? Wie alt ist sie jetzt, zwölf, dreizehn? Hat sie schon ihre Regel? Ich hab’ gemolken, wie ich acht war. Oder Sie melken, während sie den Haushalt übernimmt. Es gibt Leute, die behaupten,’ne Kuh wird unruhig, wenn eine Frau die Regel hat und
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