Postkarten
sie melkt. Ist mir persönlich nie aufgefallen.« Die alte Dame nippte an ihrem Tee.
»Nein, Ma’am. Ich arbeite nicht im Stall, und mein Mädel auch nicht. Der Stall ist Männerarbeit. Wenn sie nicht damit fertig werden, können sie jemand einstellen. Ich hab’ dem Stall zwei Jungens geboren, das reicht. Mink hat mir und Mernelle schon die Hälfte von seiner Arbeit draußen aufgehalst.«
»Mir ist aufgefallen, daß jetzt, wo’s so schwierig ist, Aushilfen zu kriegen, und die Jungens im Krieg fort sind,’ne ganze Menge Höfe zum Verkauf stehen. Und wie der Sahnepreis schwankt. Jetzt steht er gut, weil Krieg ist, aber er kann auch wieder runtergehen. Die Darter-Farm ist verkauft worden. Drei Jungens sind beim Militär, der andere schafft auf der Werft, das Mädchen macht’ne Schwesternausbildung, und Clyde meint: ›Ich weiß nicht, warum wir hier rumhängen, wenn wir gutes Geld verdienen könnten, anstatt uns zu Tod zu schuften.‹ Es heißt, daß er nach Bath in Maine rüber ist, wo der andere Junge ist, sie haben ihm Schweißen beigebracht, und er hat jetzt’ne gutbezahlte Stelle. Es heißt, daß sie auch eine hat und daß sie gut dastehen mit dem, was sie zusammen verdienen und was sie für ihre Farm bekommen haben; die haben sie an einen Lehrer aus Pennsylvania verkauft, der bloß im Sommer kommt. Komisch, daß Loyal und Billy so aus heiterem Himmel fort sind. Er hat Ronnie nichts davon gesagt. Ronnie und er wollten diese Woche auf Gänsejagd gehen. Das ist auch der Grund, warum wir reingeschaut haben, damit Ronnie und Loyal was ausmachen können. Ich hab’ gesagt, sie sollen versuchen, ein paar Hühnerbussarde zu erwischen, die mir meine Hühner holen, und jetzt auch noch’ne Truthenne. Ich weiß nicht, ob ein Hühnerbussard’ne Truthenne fortschaffen kann, aber bestimmt können sie sie fressen, wo sie sie hingeschleppt haben. Vielleicht war’s ja auch ein Fuchs. Ich weiß nicht, wie Ronnie ohne Loyal auskommen soll, sie waren so dick miteinander. Für Sie wird’s ganz schön hart werden ohne Loyal. So ein Arbeitstier.«
»Es wird uns schon was einfallen. Ich weiß bloß nicht, was. Eins steht fest: Ich geh’ in keinen Stall, und Mernelle auch nicht.«
3
Unterwegs
Er kam zügig voran, fuhr Richtung Norden auf das Ende des Sees zu. Er hatte sein kleines Geldbündel, Geld vom Land, Dollarscheine, die schmierig und schlaff waren, weil sie durch die Hände von Mechanikern, Landarbeitern und Holzfällern gegangen waren. Er hatte genug Benzinmarken, um ein Stück weit zu kommen. Es war schließlich niemand hinter ihm her. Er glaubte nicht, daß sie jemals hinter ihm hersein würden. Die Mauer war gut gebaut, dachte er. Solange die Füchse sich nicht daruntergruben. Solange niemand dort hinaufging. Wer zum Teufel sollte dort hinaufgehen? Kein Mensch würde dort hinaufgehen.
Die Straßen waren hart von der Herbstkälte, und es herrschte nicht viel Verkehr. Gutes Jagdwetter. Ein paar Autos, ein mit Holz beladener Lastwagen, der aus dem dunklen Wald kam und dort, wo er auf die befestigte Straße abbog, eine doppelte Dreckkurve hinterließ. Mußte an irgendeiner morastigen Stelle steckengeblieben sein. Er hatte siebenundvierzig Dollar, genug, um ein Stück weit zu kommen. Wenn das Auto durchhielt. Es war in ziemlich gutem Zustand, ein Chevrolet Baujahr 36, sah man von der Sitzlehne ab, die kaputt war und von hinten mit einer Holzlatte gestützt wurde. Aus der Heizung kam nur ein Lüftchen, kälter als der Atem einer Fledermaus, aber das Gebläse funktionierte einigermaßen. Die Batterie war alt, und der Wagen ließ sich an kalten Morgen nur widerwillig starten, das war ungefähr so einfach, wie Portwein aus der linken hinteren Zitze einer Kuh zu melken. Die Reifen hatten noch Profil. Er würde schonend mit ihnen umgehen. Wenn das Auto den Geist aufgab, konnte er Arbeit suchen. Auf irgendeine Farm marschieren und nach Arbeit fragen. Sorgen machten ihm die Benzinmarken. Sie reichten nur für fünfundsiebzig Liter. Damit kam er gerade bis an die Grenze des Staates New York. Er mußte Benzin beschaffen, egal wie.
Er überlegte nicht, wohin, fuhr einfach drauflos. Ihm schien, daß er keine Richtung brauchte, jede zufällige Route, die ihn von der Farm wegführte, war recht. Es ging nicht darum, daß er überall hinfahren konnte, sondern darum, daß er irgendwohin fahren mußte, wohin, spielte keine Rolle. Nichts hatte ihn je dazu verleitet, sich für Spinnen oder Steine, für die präzise Mechanik von
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