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Postkarten

Titel: Postkarten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annie Proulx
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Küchenuhr war es neun, als Dub sich aus der gesprenkelten Kaffeekanne bediente, die hinten auf dem Herd stand, und genießerisch den heißen Zichorienduft schnupperte. Er goß etwas für Mink in eine angeschlagene Tasse. Sich verschiebende Blickgewichte und -gegengewichte bewegten sich zwischen ihnen wie Abakuskugeln auf Drähten. Feindseligkeit und Wachsamkeit ließen nach. Mink versuchte seinen Abscheu gegen Dubs Herumstreunen zu zügeln, gegen seine unausrottbare Vorliebe für Negermusik, für diese perfiden Schallplatten von Raw Boy Harry, die er von weit her mitbrachte. Außerdem besuchte er das Restaurant Kong Chow in Rutland, wo er auf einen Schlag Gemüse für drei Dollar in einer rattenbraunen Soße aß, und das Wirtshaus Comet, wo er sich samstags betrank und mit seiner schmutzigen Hand Frauen betatschte.
    Im Gegenzug verbiß Dub sich seine Bemerkungen über Minks engstirniges Denken und seine beschränkten Vorstellungen von Arbeit und über seine bemitleidenswerte Ansicht, daß Viehversteigerungen das Höchste an Unterhaltung seien. Dub konnte sich sogar damit abfinden, daß der Alte die Holsteiner erschossen hatte.
    Bei der Arbeit im düsteren Laternenlicht berührten ihre schwieligen Hände sich wie Holzstücke, wenn Dub nach dem Griff des vollen Milcheimers langte und Mink einen neuen reichte, wenn Dub vorausging und Weichen und Euter der nächsten Kuh abwischte, Myrna Loy beruhigte, die, noch immer nervös, den Kopf hin und her warf. Sie erlebten die Kameradschaft der Arbeit. Die Schwere der Arbeit ohne Loyal schuf Nähe. Dub schuftete; Mink molk ununterbrochen, vierzehn, siebzehn Kühe, seine Unterarme taten ihm weh, sein Rücken knackte, und Dub begriff, was für eine ungeheure Leistung es war. Zum ersten Mal tat es ihm Minks wegen leid, daß er seinen Arm verloren hatte.
    Nun, da Loyal nicht mehr da war, rührte sich in Dub Hunger nach der Zuneigung seines Vaters, ein Wunsch, dessen er sich nicht bewußt gewesen war, der still und unauffällig unter seinen Witzeleien und Herumtreibereien geruht hatte und der sich zu diesem späten Zeitpunkt nicht mehr befriedigen ließ. Er verdrängte nicht den alten Haß und das, was er wie einen Zauber gegen das Schicksal murmelte: »Bloß nicht so werden wie er.«
    Sie arbeiteten, ohne zu reden, hörten sich den Landfunk an, die Eierpreise und die Kriegsnachrichten aus dem rauschenden, mit Spreu übersäten Radio, das auf dem Regalbrett neben der Tür zum Milchraum stand und an den großen Generator angeschlossen war. In diesen Stunden des Melkens und Tragens der Milch waren sie kurzfristig nicht länger Vater und jüngster Sohn, sondern zwei Gleiche, die sich endlosen Mühen unterzogen. »Wir kriegen’s schon hin«, sagte Mink, während beim Melken die Muskeln seiner Arme anschwollen, abschwollen.
    »Dreieinhalb Stunden Melken. Ich hab’ gemolken, Dub hat die verdammte Milch geschleppt, und das macht pro Tag allein sieben Stunden Melken, nimm das Korn- und Heufüttern dazu, den Stall ausmisten, müssen was von dem Mist ausbringen, bevor der Schnee kommt, morgen müssen wir die Sahne vor sieben zur Straße runtergebracht haben, dazu noch der alltägliche Kleinkram wie Kartoffeln ernten, und das Holz müssen wir auch noch holen. Schlachten müssen wir diese Woche, und wenn wir die ganze Nacht dafür aufbleiben. Wenn ich’ne Liste von den Sachen machen wollte, die im Moment getan werden müssen, würde ich jedes Stück Papier im Haus brauchen. Ich weiß nicht, ob ich’nen Bleistift halten könnte, ob ich meine Hände noch um was anderes als Kuhzitzen legen kann. Du und Mernelle, ihr müßt euch um die Hühner kümmern und an Äpfeln reinbringen, was ihr könnt, und die Kartoffeln ernten. Mernelle wird’ne Woche von der Schule wegbleiben müssen, bis wir übern Berg sind. Wir schaffen’s nur, wenn wir das Schlafen seinlassen.« Was er sagte, stimmte. Aber die Art, wie er wütend den Mund verzog, erboste Jewell.
    »Du wirst nix Vernünftiges zu essen kriegen, wenn wir draußen arbeiten sollen. Ich kann nicht die Hühner schlachten und rupfen und Kartoffeln und Äpfel schleppen und dann schnell ein großes Essen kochen. Kannst du nicht einen von den Jungen von deinem Bruder zum Aushelfen kriegen, Ernest oder Norman?« Sie wußte, daß er es nicht konnte.
    »Wär’ schön, wenn ich beim Melken kürzertreten könnte, weil ich Holz schleppen muß. Verflucht, ich brauch’ ein gutes Essen, und ich verlange, daß du’s mir hinstellst.« Jetzt brüllte er. »Und,

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