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Postkarten

Titel: Postkarten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annie Proulx
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nein, ich kann die Jungen von Ott nicht zum Aushelfen kriegen. Erstens ist Norman erst elf und so stark wie nasses Heu. Ernie hilft schon Ott, und Ott sagt, daß er sich etwa so ins Zeug legt, als müßte er Gift nehmen.«
    Ihr hätte es gefallen, ihn Gift nehmen zu sehen, das wußte er.
    Ein Auto kam den Weg heraufgeächzt. Jewell ging ans Fenster.
    »Hätt’ ich mir denken können, daß die kommt. Die alte Mrs. Nipple mit Ronnie.«
    »Bin im Stall«, sagte Mink, der an seinem Overall zupfte. Der Streit hatte ihm Farbe ins Gesicht getrieben, und in Jewell blitzte kurz auf, wie er als junger Mann gewesen war, die milchige Haut unter dem Hemd, die blitzenden blauen Augen und das feine Haar. Seine Kraft, die großtuerische Art und Weise, wie er ging und an seinem Overall zupfte, damit seine empfindlichsten Körperteile sich nicht am groben Stoff rieben.
    Er und Dub gingen zum Holzschuppen und bewegten sich wie ein Gespann. Die Verandatür quietschte. Um die Türkante krümmten sich Mrs. Nipples schwerfällige Finger.
    »Stehen Sie doch nicht so da, Mrs. Nipple, kommen Sie rein, und Ronnie auch«, rief Jewell und setzte Teewasser auf. Die alte Dame hatte sich als Kleinkind mit heißem Kaffee den Mund verbrannt und nie wieder welchen angerührt; ihren Tee ließ sie stehen, bis er lauwarm war. »Hab’ mir schon gedacht, daß wir Sie bald zu Gesicht kriegen.« Mrs. Nipple hatte eine Witterung für Ärger, die so untrüglich war wie der Drang der Wildgans, fortzufliegen, sobald die Tage kürzer werden. Sie spürte die leisesten Mißklänge auf Meilen Entfernung.
    »Nach allem, was sie durchgemacht hat«, hatte Jewell Mernelle einmal in düsterem Ton erzählt, »weiß sie wahrscheinlich Bescheid, wenn in Kuba was nicht stimmt.«
    »Was hat sie denn durchgemacht?« fragte Mernelle.
    »Nichts, was ich dir sagen kann, bevor du’ne erwachsene Frau bist. Du würdest es nicht verstehen.«
    »Ich versteh’s ganz bestimmt«, jammerte Mernelle, »bitte sag’s mir.«
    »Das glaub’ ich nicht«, erwiderte Jewell.
    »Ronnie ist in den Stall raus, um mit Loyal und den anderen zu reden«, sagte Mrs. Nipple, als sie sich durch die Tür schob, das kaputte Fenster registrierte, die Kartoffelschalen im Spülstein, die halboffene Tür zum Holzschuppen, Jewells verzerrtes Lächeln. Sie roch die Wut, den Rauch, spürte den Abschied. Auf Minks Stuhl bemerkte sie die Wärme des Sitzes sogar durch ihren schweren braunen Rock. Ihr brauchte niemand zu sagen, daß etwas passiert war. Sie wußte, daß Mink in den Stall gegangen war, weil sie gekommen war.
    Die alte Dame sah aus wie eine Henne, die tausend Eier gelegt hat, von ihrem gekräuselten weißen Haar, das sie sich in Corinne Claunchs Schönheitssalon zur Dauerwelle hatte legen lassen, bis zu ihren hellen, feuchten Augen, ihrem ungeschlachten Busen, ihrem ausladenden Hinterteil, das kein Korsett einzuzwängen vermochte, und den krummen Beinen, die so weit außen am Becken saßen, daß es aussah, als würde ein Schaukelstuhl schaukeln, wenn sie sich bewegte. Dub hatte Loyal einmal kichernd zugeflüstert, daß zwischen ihren Oberschenkeln sicher drei Handbreit Platz war und daß sie auf dem Rücken eines Clydesdale-Pferdes sitzen konnte wie eine Wäscheklammer auf der Leine.
    Sie seufzte, berührte einen Glassplitter auf dem Wachstuch. »Anscheinend gibt’s überall Ärger«, sagte sie, um den Neuigkeiten, die Jewell zweifellos zu erzählen hatte, ein Fundament zu bereiten. »Es ist doch lästig, daß man die Papiertüten in die Geschäfte mitbringen muß, und erst letzten Monat hat Ronnie einen Brief von dem Milchlaster gekriegt. Da stand drin, daß sie die Route neu einrichten. Können nicht mehr zur Farm raufkommen. Wenn wir ihnen Sahne verkaufen wollen, müssen wir sie zur Straße runterschleppen. Er hat’s gemacht, aber es ist’ne ziemlich mühselige Arbeit, kostet’ne Menge Zeit. Ich nehm’ an, daß er ganz schön Verlust dabei macht. Ich möchte mal wissen, was die sich denken, wie wir zurechtkommen sollen. Und dann die Schwägerin von meiner Nichte Ida, Sie erinnern sich doch an Ida, sie hat bei uns gewohnt, wie Toot noch am Leben war, hat den ganzen Sommer im Garten geholfen, hat Beeren gepflückt, Äpfel, ich weiß nicht was, hat Toot und Ronnie beim Heu geholfen. Sie war die, die von den Wespen gestochen wurde, die ein Nest unter einem Kürbis hatten. Na ja, jetzt lebt sie in Shoreham drüben, ich hör’ von ihr, daß ihre Schwägerin, Mrs. Charles Renfrew, sie führt ein

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