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Postkarten

Titel: Postkarten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annie Proulx
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Uhrwerken, das Geräusch von aus Druckerpressen strömendem Papier, das Vermessen der hohen Arktis oder den Tenorgesang zu interessieren. Die Farm hatte zwar Antworten auf alle Fragen, aber Fragen hatten sich nie gestellt.
    Westen, das war die Richtung. Dort, hatte Billy geglaubt, war etwas. Keine neue Farm. Sie wollte an einen Ort mit Wirtshäusern, irgendeine Kriegsarbeit, in den Fabriken gab es gutes Geld, wenn sie eine Arbeit gefunden hätte, bei der ihre Nägel nicht abbrachen, etwas Geld für den Neubeginn sparen, samstags abends ausgehen, das in der Mitte gescheitelte, gelockte Haar mit zwei paillettenbesetzten roten Spangen nach hinten gesteckt. Sie hatte singen wollen. Sie sang ziemlich gut, wenn sie Gelegenheit dazu hatte. In den Club 52 voller Kerle aus der Kaserne gehen. Wie Anita O’Day, kühl, klug, vor dem Mikrophon stehen, es mit der Hand halten, aus der ein roter Chiffonschal strömte, während ihre Stimme durch den Raum floß wie Wasser über Steine. Klar, aber ein wenig sarkastisch.
    Er hätte eine Arbeit finden müssen. Gutes Geld, hatte sie gesagt, ein Dollar pro Stunde und mehr. Die Kerle kassierten fünfzig, sechzig Dollar pro Woche in den Flugzeugfabriken. Er würde nach Westen fahren, sich aber nahe der Grenze halten. Die Städte, die sie genannt hatte, South Bend, Detroit, Gary, Chicago, die brachten es. Dorthin hätte Billy gewollt, aber seine Gedanken zuckten immer wieder vor dem zurück, was geschehen war. Das Benzin würde zum Problem werden.
    Die Straße verlief neben den Eisenbahnschienen am See. Das war noch eine Möglichkeit; er konnte auf Züge aufspringen. Das war er noch nie, aber viele hatten es getan. Dub zum Beispiel, sogar der dumme Dub war herumgezogen, war in Güterwaggons mitgefahren, wann immer er durchdrehte und sich aus dem Staub machte. Dann kam er übel zugerichtet zurück, stank, schleppte einen alten Futtersack voll Schund an, die Haare steif vor Dreck.
    »Geschenke. Hab’ ein Geschenk für dich, Ma«, sagte er und breitete den Plunder aus. Einmal waren es an die dreißig Kuchenformen gewesen, die Ränder mit festgebackenen Äpfeln und Kirschsaft verklebt. Einmal fünf kleine, etwa fünfzehn Zentimeter hohe Baumwollballen, auf den Schildern stand: »Ein Geschenk aus New Orleans, Welthauptstadt der Baumwolle.« Ein anderes Mal war es nichts weiter als ein halbes BURMA-RASUR-Schild. Nur BURMA war noch zu lesen. Er wollte ihnen weismachen, es käme tatsächlich aus Burma. Und einmal brachte er fünfzig Pfund rote Erde von irgendwo im Süden mit, woher, wußte er nicht mehr.
    »Ist alles so dort unten, überall rote Erde. Rot wie Blut. Rote Straßen, der Wind weht dort, die Häuser sind unten rot, die Gärten, die Farmen. Aber die Kartoffeln und Rüben haben die gleiche Farbe wie unsere. Das kapier’ ich nicht. Weil es doch rote Kartoffeln gibt. Aber nicht im Land der roten Erde.« Er kippte die Erde auf eines von Jewells Blumenbeeten, wo er sie ab und zu ansehen und sich an den Ort erinnern konnte, von dem sie kam.
    In der Dunkelheit hinter ihm tauchte immer wieder ein Licht auf, das im Rückspiegel allmählich größer wurde. Loyal hörte das Pfeifen eines Zuges vor einem Bahnübergang, meinte, er läge bereits hinter ihm, aber als er um die langgestreckte Kurve vor einer Brücke bog, war der Zug vor ihm, sein Licht raste die Schienen entlang, das Eisen ratterte ein paar Meter vom ihm entfernt.
    Am schlimmsten war das eine Mal, als Dub bis auf die Knochen abgemagert nach Hause zurückgekehrt war, der Schorf in seinem Gesicht wie schwarze Inseln und sein linker Arm amputiert bis auf einen Stummel, der aussah wie eine Seehundflosse. Mink und Jewell, ganz steif in ihren besten Kleidern, fuhren los, um ihn abzuholen; es war das erste Mal, daß Mink den Bundesstaat verließ. Dub nannte es so, »meine Flosse«, versuchte einen Witz zu machen, aber es hörte sich krank an. »Hätte schlimmer kommen können«, sagte er und zwinkerte Loyal mit irrem Blick zu. Danach war er nur noch einmal losgezogen, nicht weiter als Providence, Rhode Island, als Anhalter auf der Straße, nicht als Eisenbahntramp. In Rhode Island gebe es eine Art Schule, sagte er, einen Ort, wo man lernen könne, wie man Dinge fertigbringt, wenn einem die Hälfte der Glieder fehlt. Sie würden einen mit künstlichen Armen, Händen und Beinen aus Riemen und Aluminium zusammenflicken. Eine neue Sorte Plastikfinger, die so gut funktioniere, daß man damit als Ein-Mann-Band auftreten könne. Aber nach seiner

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