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Postkarten

Titel: Postkarten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annie Proulx
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einsteigen. Es steckt soviel Geld in illegalen Geschäften, daß es einen wundert, wenn es überhaupt noch anständige Leute in dieser Sparte gibt. Zum Teufel, es wundert mich, daß ich zu den Anständigen gehöre.’ne ganze Menge Gesetzeshüter haben die Seite gewechselt. Sie kennen sämtliche Tricks, sämtliche Schlupflöcher, sämtliche Auswege, und sie machen Geld. In ein paar Monaten könnte ich reich sein. Ich könnte daheim bei Frau und Kindern sein, mit einem Schwimmbad im Garten, einen Mercedes fahren, anstatt verdeckt auf einer Scheißranch zu arbeiten und das Mädchen für alles zu spielen.«
    »Du hast Kinder?«
    »Ja, ich habe Kinder. Zwei Stück. Ich seh’ sie nicht gerade oft, aber ich telefoniere drei-, viermal die Woche mit ihnen. Eine Nervensäge, der Junge, will Rockstar werden, schreit und stöhnt den ganzen Tag draußen in der Garage, das Mädchen, Aggie, ist sechzehn und steht auf Feminismus, Frauenrechte, die ganze Scheiße.«
    »Hast du Fotos?«
    »Nein.« Jetzt war er argwöhnisch. War das eine Art Verschwörung hinterhältiger Fallensteller, um Namen und Aussehen seiner Kinder herauszubekommen? Es waren schon Kinder entführt worden. Wer zum Teufel war dieser alte Kojotenjäger überhaupt?

45
    Einsam

    Die Ranch wirkte anders, sobald er von der Fernstraße abbog und an Jacks Zaun entlangfuhr. Es war der Zaun, achthundert Meter Gitterzaun. Seit wann züchtete Jack Schafe? Er ließ den Blick über das büschelige Gras schweifen. Keine Buckelrinder in Sicht, aber auch keine verdammten Schafe. So war es, wenn man ein, zwei Jahre wegblieb. Die Dinge änderten sich.
    Die Eingangstür ging auf, noch ehe er den Motor abgestellt hatte. Starr trat auf die Veranda. Ihre Arme hingen herunter, die Handflächen zeigten nach außen. Ihr Gesicht war verzerrt, und er sah von dort, wo er saß, die Tränenspuren. Er wußte Bescheid.
    Während er vorne um den Lastwagen ging, stürzte sie die Treppe herunter und warf sich ihm entgegen. Seine Hände sprangen zu ihren Schultern, und er drückte sie weg. Sie war so nah, daß er den scharfen Tabak riechen, das vergilbte Gewebe ihrer Augen, die vergrößerten Poren ihrer Wangen sehen konnte. Sie war zu nah, als daß er sie ansehen konnte, und er wollte sie zurück auf die Veranda schieben. Aber er stand da, die Finger in ihre fleischigen Arme gegraben, auf sein Gleichgewicht konzentriert. Etwas anderes gab es nicht. Er konnte nicht denken, seine Gedanken stoben auseinander. Sie spürte seinen Schock und trat zurück, ging zur Treppe und blieb dort stehen.
    »Ich bin jetzt ganz allein, Loyal. Jack ist tot.« Sie schneuzte sich in ihr Taschentuch. Salzige Tränen hingen in ihren Mundwinkeln. »Ich hätte dir Bescheid gegeben, aber ich wußte nicht, wie ich dich erreichen kann. Wir wußten nicht, wo du warst.« Ein Vorwurf. Sie zündete sich eine Zigarette an, warf das Streichholz zu Boden. Er hustete.
    »Was ist passiert? Mit Jack.« Noch immer konnte er ihre Hitze auf seinen Handflächen spüren. Aber Jacks Namen auszusprechen stellte sein Gleichgewicht wieder her. Er sagte ihn noch einmal.
    »Im Mai. Eine blöde Sache. Es ging ihm gut, Loyal, es ging ihm richtig gut.« Die Tränen trockneten. »Ihm fehlte überhaupt nichts. Er war immer kerngesund gewesen, hatte nur manchmal nachts ein bißchen Schwierigkeiten mit dem Schlafen. Er fuhr früh raus, um mit Rudy über einen Zaun für die Herde und eine Viehsperre zu reden, sie wollten das Material in Cheyenne holen. Als er zurückkam, war der Kaffee fertig. Er hatte einen Schluckauf. Ich lachte und sagte, er sollte Wasser trinken, um ihn loszuwerden, bevor er seinen Kaffee trank. Er trank das Wasser, Loyal, und ein paar Minuten lang hörte der Schluckauf auf, dann schenkte ich ihm den Kaffee ein, und er fing wieder an. Hat das ganze Frühstück über angehalten.« Zwischen den Stufen steckte ein leerer Kornsack. Sie redete, als hätte sie es eingeübt. Die Worte purzelten tonlos heraus.
    »Erst machten wir Witze, aber ziemlich bald wurde es so schlimm, daß es nicht mehr lustig war, er konnte kaum essen. Wir probierten alle Hausmittel, die wir kannten, in eine Papiertüte atmen und wieder daraus Luft holen, Wassertrinken, während man sich bückt, ein in Brandy getauchtes Stück Zukker essen, er trank ein Glas Whiskey, noch mehr Wasser, ich versuchte, ihn zu erschrecken, indem ich mich von hinten an ihn heranschlich und in die Hände klatschte. Schließlich ging er raus, meinte, die Fahrt nach Cheyenne würde ihn von

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