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Postkarten

Titel: Postkarten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annie Proulx
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selbst steinfarben, um den Kamin zu bauen. Witkin stellte Leute um Leute ein. Er hatte nicht genug Zeit, alles allein zu machen. Eine Gruppe von Zimmerleuten hämmerte das Gerippe des Anbaus zusammen, füllte es mit Holz und Glas, die Lastwagen mühten sich langsam den Hügel herauf, mit Kies- und Sandladungen, mit Torf und Bohlen, Blech, Nageln, Isoliermaterial, Beschlägen und Riegeln, Draht, Lampen, Gipsplatten, Klebstoff, Spachtelkitt und Farbe. Beeilt euch.
    Als sie fertig waren, fing Witkin mit dem Steinpatio an. Die gußeisernen Bänke waren bereits eingetroffen, aus South Carolina in Kiefernkisten hergeschifft, die nach Harz und Lack rochen. Er würde den Rasentraktor benützen, um die Steine von der alten Mauer am Waldrand zu dem Sandbett zu transportieren.
    Früh am Tag fing er an der Mauer an. Der Himmel verströmte blaues Licht, die Baggerschaufel legte los. Steine, gefleckt mit wunderschönen Landkarten aus Flechten und Moos, lösten sich knarrend und knirschend, Zweige und verfaulte Äste fielen zu Boden. Die Zähne der Schaufel zerkratzten die zarte grüngraue Patina. Zerzauste Ränder von Kontinenten und Inseln brachen ab, die schwappenden Moosmeere schoben sich übereinander, die Bodenschicht darunter kam zum Vorschein. Der Geruch nach vermodertem Laub ließ ihn niesen. Gab es denn keine Befreiung vom Gestank des dunklen Urwalds?
    Die kleinen flachen Steine lagen auf einem Haufen. Die würde er in die Zwischenräume einpassen, sobald die großen Brocken lagen. Die runden und unregelmäßig geformten kamen auf den Schutthaufen.
    Er legte einen großen Stein frei, der schwarze Rand zehn Zentimeter dick, die Ecken schön kantig. Er schlang die Kette darum, schleppte ihn zum Patio. Hinter ihm eine Spur der Zerstörung. Er drehte den Stein um, um sich die andere Seite anzusehen. Eine Blume aus weißem Schimmel wucherte über den dunklen Schiefer, die spinnenhaften Strahlen glichen einer explodierten Galaxie. Zerquetschte Spinnenkokons. Er drehte den Stein wieder um, damit die saubere Seite oben lag, und manövrierte ihn mit der Brechstange an Ort und Stelle.
    Er arbeitete den Vormittag über und scharrte im Sand, wo eine Seite tiefer lag als die andere, zog und zerrte, brachte den Stein in die optimale Position. Wenn er nur ein Dutzend solcher Steine hätte, dachte er. Er hoffte auf wenigstens noch einen und fuhr wieder zur Mauer.
    Der Stein hatte über einer Höhlung gelegen, die voll Laub und leergefressenen Samenhülsen eines alten Mäusenestes war. Er bückte sich, wischte mit der Hand über die welligen Blätter. Und zog sie erschrocken von der weißen Wölbung eines Schädels zurück.
    Larry, dachte er einen Augenblick lang, irgendwie war Larry vom Friedhof in der Bronx unter die Mauer gekommen.
    Aber es war nicht Larry.
    Vorsichtig holte er das Laub in kleinen Mengen heraus, bis sich die gebogenen Knochen seinem Blick darboten. Die makellosen Zähne lächelten zu ihm empor, aber die kleinen Hand- und Fußknochen fehlten. Der rechte Arm war verschwunden. Die übrigen Arm- und Beinknochen, vom meißelnden Nagen der Mäuse gezeichnet und eingekerbt, waren braun von Laubflecken. Von der Ferse abgerissen und eingerollt wie ein Embryo, lag im Becken eine Schuhsohle. In seinem Rücken hörte er den Rasentraktor im Leerlauf tuckern.
    Ein Pioniergrab. Die Frau eines frühen Siedlers, erschöpft vom Kinderkriegen oder vielleicht von Indianern skalpiert und erschlagen oder an Typhus, Lungenentzündung oder Milchfieber gestorben. Er war in die kühle Intimität ihres Grabes eingedrungen.
    »Arme Frau, wer du wohl gewesen bist?« sagte er. Aus Respekt ließ er die Arbeit für den Tag ruhen, schleppte den Stein zur Mauer zurück und paßte ihn wieder an seinem ursprünglichen Platz ein. Ein Grab wollte er nicht entweihen.

44
    Der kleine Cowboy verflucht Richter

    Sieben Monate später sah er im Nordwesten von New Mexico den kleinen Cowboy in The White Pony, er saß am Ende des Tresens, die Augen auf den Spiegel geheftet, er trug noch immer die gleichen Kleider, sein Schildkrötenmund hing am Rand der Bierdose. Loyal setzte sich neben ihn, blickte in den Spiegel.
    »Hast du die Typen jemals erwischt?«
    Der kleine Cowboy sah kaputt aus; seine Augen waren blutunterlaufen, der Dreck an seinem Hals steckte tief in der ledrigen Haut. Seine Hände zitterten. Na ja, er selbst sah auch nicht gerade gut aus. Der Zwerg starrte Loyal an, zog eine Grimasse.
    »Mensch, verdammt noch mal, der Kojotenfänger, oder? Was zum

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