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Postkarten

Titel: Postkarten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annie Proulx
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dem verfluchten Schluckauf ablenken, und wenn er nicht bald aufhörte, würde er dort zum Doktor gehen.« Wie anders sie ist, dachte er. Der Glanz war von ihr abgefallen, die lebhaften, schlagfertigen Antworten und die flinken Bewegungen. Sie war schwerfällig wie eine Kuh.
    »So um drei kamen sie wieder zurück. Der Laster ist voller Zaunmaterial, und ich schaue hinaus und sehe, daß Rudy fährt. Ich weiß, daß was nicht stimmt, weil ich sehe, wie Jacks Profil alle paar Sekunden hochhüpft.« Sie machte es jetzt nach, führte vor, wie Jack im Lastwagen gesessen hatte, vom verrückt gewordenen Willen seines Körpers gebeutelt. »Er hatte noch immer Schluckauf. Er kam mit einer Medizin rein, die ihn ruhigstellen sollte, so was wie Schlaftabletten, glaube ich. Loyal, er hat diese Dinger genommen, und es ist kaum zu glauben, aber er hatte die ganze Nacht lang einen Schluckauf, auch noch als er von den Tabletten halb weggetreten war. Ich mußte aufstehen und im Wohnzimmer auf der Couch schlafen, weil das Bett jedesmal, wenn er sich verkrampfte, so stark gewakkelt hat, aber dann hab’ ich mir echte Sorgen um ihn gemacht, daß er vielleicht seine Zunge verschluckt oder so, weil er wirklich eingedöst war, also bin ich die ganze Nacht aufgeblieben und hab’ Kaffee getrunken, bin auf und ab gegangen und hab’ das verfluchte ›Hicks, hicks, hicks‹ gehört!« Als würde sie das Unkraut neben der Veranda erst jetzt bemerken, fing sie an, es auszureißen, und ließ es fallen, wo sie stand.
    »Am Morgen war er nur noch ein Wrack, er konnte kaum reden, sein Gesicht war grau, und er konnte nichts zu sich nehmen oder bei sich behalten. Er litt wirklich, Loyal. Ich rief den Doktor an, und der sagte: ›Bringen Sie ihn her.‹ Ich fuhr ihn hin, und sie steckten ihn ins Krankenhaus, versuchten es mit hunderterlei Sachen, versuchten, ihn zu sedieren, aber nichts half. Nichts half! Ich konnte es nicht glauben. Die Wunder der modernen Medizin, sie können Herz und Lungen transplantieren, neue Arme und plastische Chirurgie, aber einen Schluckauf können sie nicht zum Stillstand bringen. Ich hab’ die Ärzte angebrüllt.
    Jack wußte, glaube ich, daß nichts helfen würde. Er sagte: ›Starr, der Wagen ist aus dem Gleis gesprungen.‹ Das waren mehr oder weniger seine letzten Worte. Er lebte noch bis zum nächsten Morgen, und dann gab sein Herz einfach auf. Man konnte sehen, daß er sterben wollte, nur damit der Schluckauf aufhört.«
    Er wollte in seinen Wagen zurück und abhauen, aber Starr führte ihn in die Küche, machte sich an Küchenschränken und Kühlschrank zu schaffen, holte Eier und Mehl heraus, mischte Zutaten. Sie wechselte die Richtung wie eine Kompaßnadel, sprach über das, was sie kochte, natürlich würde er zum Abendessen bleiben, es war kein Käsesoufflé, sondern etwas noch Besseres, eine »Kiesch«, und der Regen ließ auf sich warten, was sollte sie jetzt tun. Über Jack schienen sie genug geredet zu haben.
    »Ich hab’ mir überlegt, daß ich vielleicht wieder mit dem Singen anfange. Du hast bestimmt nicht gewußt, daß ich früher gesungen hab’, Loyal.«
    »Nein, nicht die Spur.« Sein Bild in der Stahlschüssel auf dem Tisch, sein Gesicht verzerrt und zerdrückt, der Mund ein an den Kopf gebundenes Gummiband, die Hutkrempe wie eine Kuchenplatte.
    »Und ob! Hab’ früher beim Rodeo in Cheyenne in den Pausen gesungen. Ist natürlich lange her, fünfzehn, achtzehn Jahre. Aber ich war mal in Übung. Ach, das war immer ein Spaß - die vielen Leute, gutaussehende Männer. So hab’ ich Jack kennengelernt, beim Rodeo.« Sie verrührte mit einem Gerät aus gebogenem Draht Mehl und Butter. »Herrje, ich muß was unternehmen.«
    Er wußte nicht, wie er mit ihr reden sollte. Sie war Jacks Frau gewesen, auf diese Rolle festgelegt. Jetzt war sie ein Mensch, den er nie erlebt hatte, der weinte, davon sprach, etwas unternehmen zu müssen, zu singen. Eine Frau, eine alleinstehende Frau - was zum Teufel sollte er zu ihr sagen?
    »Was bedeutet der Schafszaun draußen an der Abzweigung?« Er versuchte so zu klingen, als wollte er es wissen. Zum Teufel, er wollte es wissen.
    »Ach, der. Weißt du, Jack hat mir nicht besonders viel Bares hinterlassen. Wie die meisten Viehzüchter, viel Land, wenig Bares. Natürlich hat er nicht damit gerechnet, daß er so schnell sterben würde. Ich mußte was unternehmen. Ich hab’ versucht, einen Käufer für die Buckelrinder zu finden. Keiner hier in der Gegend wollte sie haben.

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