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Postkarten

Titel: Postkarten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annie Proulx
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Kletterei nicht mehr. Habe ein zu bequemes Leben geführt. Das Bilderverkaufen ist kein gutes Training.« Sie standen sich nicht mehr nah. Aber beide taten so.
    Wenn Witkin allein auf seinem Grund war, sprühten die Eichen Funken, die Büsche und jungen Bäume schienen vom braungelben Boden emporzuschnellen. Der Himmel vibrierte, im gespannten Trommelfell knackte es. Wenn er der kilometerlangen Steinmauer folgte, die sich in den Wald erstreckte, schlurfte er durch brotkrustenfarbenes Gras, Laub wie brauner Zucker, wie verkohlte Briefe, herabrieselnde Nadeln, sein Kopf bekam Kratzer von Wurzeln, die in die Luft ragten, wo die Erdkrume abgebrochen war, in seinen Stiefeln rutschte er auf dem Holzstamm aus, der über den Bach führte. Er brauchte Larry noch immer, um den Weg zu finden. Er konnte die Bäume nicht auseinanderhalten, konnte die Windrichtung und das Durcheinander der Äste nicht einschätzen. Der Wirrwarr der Bäume drängte gegen die Jagdhütte. Unter der Treppe wand sich Himbeergestrüpp.
    Er fing an, das Chaos der Natur zu ordnen. Die einst so betörende, wellenartige Musik des Waldes klang jetzt mißtönend wie ein kaputter Lautsprecher, wie das endlose Brummen der Hochspannungsleitungen, unter denen er darauf gewartet hatte, daß Larry den Hirsch zu ihm trieb, und das ihn so verwirrt hatte, daß er den Hirsch nicht hatte kommen hören, sondern nur die gelbbraune Bewegung wahrgenommen hatte. Er hatte nie jagen wollen; er hatte es nur Larry, dem unbekannten Bruder, zu Gefallen getan.
    Frieda war überrascht, als Larry auf Jack Kazins Boot im Liegestuhl den fetten Rücken durchbog, den Kopf zurückwarf, als würde er eine Arie singen, und dann über die Armlehne zu Boden purzelte. Herzstillstand.
    In der Woche nach Larrys Bestattung heuerte Witkin Alvin Vinyl und seinen Cousin an, damit sie die sirrenden Ahornbäume um die Jagdhütte fällten und wegbrachten. Die Zeit drängte ihn. Er trieb sie mit Geldversprechungen an. Sie rodeten ein großes, offenes Viereck. In dem gleißenden Licht schrumpelte das Laub, das verborgene Moos welkte. In staubenden schwarzen Fontänen riß eine Maschine die Wurzeln aus der zweihundertjährigen Umklammerung des Bodens. Die Planiermaschine zähmte den aufgewühlten Boden, und Witkin säte Grassamen für einen Rasen in der Wildnis. Weitere Projekte schwirrten ihm durch den Kopf; er mußte sich beeilen.
    Die Geräte für den neuen Rasen - Rasenmähmaschine, Vertikutierer und Kultivator, Walzen und Sensen - wurden in der Garage gelagert. Er plante einen Geräteschuppen, den offenen Kamin und den Anbau, zwei Zimmer und ein Studio. Sein Sohn Kevin wollte den Sommer über kommen. Er war das zweite Jahr an der Universität und hatte keinen Sommerjob. Witkin bot ihm angemessenen Lohn für entsprechende Arbeit und wußte, als er die steifen Sätze über das Sichbesserkennenlernen aussprach, daß es für beide kein gutes Geschäft würde. Kevins malvenfarbene Hände schienen zu nichts zu gebrauchen außer zum Kratzen und Pfuschen.
    Am ersten Tag arbeitete Kevin mit nacktem Oberkörper und tat so, als würde er Witkins Warnungen vor Sonnenbrand und Krebs nicht hören. Er verschlief den herrlichen Morgen des zweiten Tages und kroch erst aus seinem Schlafsack, als Generator, Motorsäge und Hammer einen Höllenkrach produzierten. Latschte herum und redete einsilbig. Witkin haßte ihn wieder. Er erkannte in Kevin nicht sein Fleisch und Blut. Und das andere Kind, die Zwillingsschwester, was war mit diesem schüchternen, humorlosen Mädchen in der rosa Bluse, das zielsicher die falschen Entscheidungen traf und jetzt beim Peace Corps in Sambia war? Das Band der instinktiven Liebe, das sich durch die Generationen schlingt, war abgerissen.
    Sie deckten das Dach des Geräteschuppens mit Platten aus verzinktem Blech. In der sengenden Höhe flimmerte die Luft. Kevin trank literweise Bier, schlug die Nägel in unregelmäßigen Abständen ein, urinierte vom Dach, anstatt die Leiter hinunterzusteigen. Hitze wallte gegen ihre Arme und Oberkörper. Schweiß floß in Strömen. Kevin, der Witkins Bedürfnis spürte, den Märtyrer zu spielen, warf am vierten Tag das Handtuch.
    »Ich schaff’ das nicht. Ich steig’ aus. Lieber schaufle ich Kohlen in der Hölle als das. Für was zum Teufel baust du dieses Riesentrumm?« Beide hatten es erwartet. Ihr Streit war ohne Feuer. Zeugte nur von der zähen Zufriedenheit, die von gegenseitiger Abneigung rührt.
    Als Kevin fort war, kam der ältliche Steinmetz,

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