Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Postkarten

Titel: Postkarten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annie Proulx
Vom Netzwerk:
höllisch weh. Was macht dein Auge?«
    »Tut höllisch weh.«
    »He! Zwei doppelte Whiskey und zwei Steaks, medium.«
     
    Er grub drei Sommer lang immer wieder mit Wulff. Wulff zeigte ihm die Tricks des Gewerbes. Behauptete er zumindest.
    »Zwei Regeln, Blood. Hol das Fossil aus dem Boden, wie es ist, und bring’s genauso nach Hause. Und schreib dir jede Scheißangabe über Fundstelle, Gestein und Lage auf, die dir einfällt, und steck die ganzen Angaben zu dem Fundstück. Und das ist in etwa das ganze Geheimnis.«
    Bei Bullet lernte er so etwas wie Geduld, das langsame Suchen mit dem Auge und das Gespür für die Obelisken aus cremefarbenem und ochsenblutrotem Stein, für die bröckelnden pfirsichfarbenen Steilfelsen, die weißen Schluchten, die ausschwemmenden Flüsse voll milchigem Wasser, die lila Hügel und Kuppen in der sengenden Hitze, die zum Ersticken war und ihn wünschen ließ, er hätte etwas anderes zu trinken als das nach Gummi schmeckende Wasser aus der Feldflasche.
    »Verdammt, Blood, wenn du einen Kaninchenkiefer nicht aus fünf Meter Entfernung erkennen kannst, dann bist du im falschen Geschäft.«
    Der Kalkstaub und der feine Sand rauhten ihre Haut auf, entzündeten ihre gereizten Augen. Die Hitze der weißen Erde sprang ihnen wie ein Stromstoß entgegen. Oft zogen sie nach einem Regenguß los in der Hoffnung, die Sturzbäche, die dann die vorher ausgetrockneten Bachbetten hinabschossen, hätten frische Sandsteinschichten losgerissen, neue Fossilien freigelegt. Er lernte, gebückt zu gehen, seine Augen nach Erhebungen und Erdbuckeln Ausschau halten zu lassen, die sich nach oben arbeitende Knochen gebildet hatten. Er nahm Ameisenhaufen auseinander auf der Suche nach winzigen Nagezähnen und Knochen, siebte kleine Muscheln aus dem Sand, überzog bröselige Knochenstückchen, die aus verwitterten Hängen hervorragten, mit Schellack und saß später im Lager mit Bullet, kratzte an verkrusteten Knochen herum, säuberte sie mit einer Zahnbürste oder packte die eingegipsten Fundstücke zum Versand nach Osten ein.
    Vorne im Jeep herrschte ein Durcheinander aus Bündeln in Rosa und Türkis gedruckter geologischer Karten. Auf dem Boden rollten Bierflaschen herum. Seine Hüte waren hinter den Sitz geklemmt, unter die Sonnenblenden. Überall auf dem Armaturenbrett kaputte Sonnenbrillen, Brezeltüten. Der rückwärtige Wagenteil war ebenso vollgestopft, mit der Ausrüstung des Fossilienjägers: Gips, Rupfensäcke, Meißel, Klopapierrollen, Zeitungen, große Kannen Leim, Schellack und Alkohol, Kleiderbürsten und Malerpinsel, Klebeband, Zahnstocher und Zahnarztinstrumente und eine Schachtel mit Notizbüchern. In dem Haufen lag das Buch des Indianers begraben, ein billiger Spiralblock, die linierten Seiten fettverschmiert. Er schrieb hin und wieder hinein.
     
    Jeden September packten sie ein paar Tage vor Beginn der Elchsaison ihre Fossilienausrüstung weg und fuhren nach Norden. Bullet besaß eine Hütte in den Black Hills, und sie gingen in den Kiefernwäldern zum Jagen, bis das Elchfieber gestillt war oder die ersten schweren Schneefälle sie wieder forttrieben. Bullet, der einen Kompaß eingebaut hatte, wenn er nach Fossilien suchte, verirrte sich in waldigem Gelände.
    »Ich weiß nicht, woran’s liegt, die Bäume verwirren mich, ich gerate in so’ne verfluchte Senke und kenn’ mich nicht mehr aus. Durch die Bäume sieht alles gleich aus. Man sieht nicht weit. Man kann sich nicht irgendwo an’ner Kuppe orientieren und feststellen, wo man ist, einfach dadurch, daß man raufklettert.« Seine Orientierungslosigkeit, dachte Loyal, rührte teilweise daher, daß der alte Fossilienspürhund in höheren Lagen schlief wie ein Toter. Morgens kroch er heraus und nickte eine Stunde lang über einer Tasse schwarzem Kaffee ein, bis allmählich Leben in ihn kam. Er tröpfelte Kondensmilch in den kalten Kaffee.
    »›Nelkenmilch, die beste im ganzen Land‹, kommt in’nem kleinen roten Döschen. Brauchst an keinen Zitzen zu ziehen, kein Heu zu gabeln, stichst einfach ein Loch in das verdammte Ding.«
    Am späten Vormittag machte er sich auf in die Berge und hatte sich bis Mittag verlaufen. Nachdem er einmal einen ganzen Tag und die folgende Nacht fort gewesen war, fand Loyal ihn durch den Knall eines Schusses aus Bullets verschrammter alter Flinte. Er schoß ebenfalls und marschierte, bis er ihn traf, während er sich mit klatschenden Schuhsohlen ein trokkenes Flußbett hinaufmühte und dabei ein gebrochenes

Weitere Kostenlose Bücher