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Postkarten

Titel: Postkarten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annie Proulx
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Handgelenk in einer provisorischen Schlinge hielt.
    »Na ja, ich hab’ was gelernt«, sagte Bullet. Sein Mund war so geschwollen und trocken, daß die Worte verschwammen. »Ich hab’ gelernt, eine Scheißflinte nie so abzufeuern wie’ne Pistole. Herrgott, ich war ganz locker, hab’ das Ding einfach in die Luft gehalten und auf den Abzug gedrückt. Verdammt, genauso machen’s die Indianer auf den Bildern von Custers letzter Schlacht. Hab’s auch schon im Kino gesehen. Hat mir wahrscheinlich die Hand glatt am Gelenk abgebrochen.«
    In einer Saison fiel, am Tag nachdem sie mit dem Jeep das Flußbett zur Hütte hinaufgeknattert waren, fünf bis sechs Zentimeter guter Fährtenschnee. Loyal war früh draußen, schloß vorsichtig die Brettertür, hinter der Bullet atmete. Die graue Luft roch harzig, brannte ihm nach dem Gestank in der geschlossenen Hütte in der Nase. Er fühlte sich voll ungestümem Leben und brach Richtung Norden auf. Gut einen Kilometer von der Hütte entfernt nahm er Elchspuren auf, fünf oder sechs Tiere, die sich in einer langen Reihe hintereinander fortbewegten. Er folgte der geraden Linie ein paar hundert Meter, bis er auf Kothaufen stieß. Sie waren noch warm, als er sie berührte, und er stellte sich auf einen langen Fährtengang ein. Am späten Vormittag stieß er auf einen jungen Bullen, der zwischen den Bäumen stand und entlang seiner Spur zurückblickte, als würde er auf den Tod warten. Loyal legte das Gewehr an, und der Elch fiel anmutig um, als würde er eine kurze, aber häufig geprobte Rolle in einem Stück spielen. So einfach war das.
    Der verhangene Himmel war so grau wie alter Draht, als er zur Hütte zurückkehrte. Drinnen brannte Licht. Seine Schultern fühlten sich an wie durchgeschnitten von den Schleppriemen, dem Gewicht des Hinterteils. Er hoffte, Bullet wäre in Form, um den Rest des Elchs herzuschleppen, dann sah er die schwarze Gestalt eines kleineren Elchs an einem Ast hängen. Wulff saß über den Tisch gebeugt und schaufelte Dosenspaghetti in sich hinein. Auf seinem Bart glänzten Soßenspritzer. Es roch nach Rotwein.
    »Hast du einen erwischt?«
    »Ja. Wie hast du den hierhergekriegt, Bullet? Den Elch?«
    »Es war ein Wunder. Ich bin einfach durch die Bäume hinter der Hütte rauf, so zehn Minuten später springt ein riesengroßer Elch auf. Das war’ne verdammte Überraschung, ich hatte nicht mal das Gewehr geladen. Er steht einfach da, mit der Flanke zu mir. Sieht mich nicht. Ich greif’ in meine Tasche, hol”ne Patrone raus, schieb’ sie ins Gewehr, leg’ an, und das Miststück geht nicht los. Macht einfach Klick. Der Elch schnaubt und zieht Leine. Ich mach’ das Ding auf, und weißt du, was ich getan hab’? Ich hab”ne Scheißtube Vaseline in das Scheißgewehr gesteckt.« Er lachte, es klang wie das heisere Gurgeln eines geschächteten Schweins, dachte Loyal, der die Geschichte mit der Vaseline schon zwanzigmal gehört hatte, nicht nur von Bullet.
    »Aber wie ich sehe, hast du ja trotzdem einen. Möchte bloß wissen, wie du den allein hierhergekriegt hast.«
    »Ach, das. Ja, na ja, das war komisch. Ich war so verflucht entmutigt, daß ich umkehrte, und auf dem Weg bin ich über deine Spur gestolpert, aber ich war nicht der einzige. Ein verdammter Elch hatte die Abdrücke von deinen Mokassins gesehen und war mit einem Herzschlag umgekippt, als ihm klar wurde, daß du da draußen bist. Gleich vor der Tür. Ich brauchte ihn bloß aufzuhängen. Warum machst du nicht eine Büchse Spaghetti auf und rückst dir einen Stuhl ran?« Er war ein gutmütiger alter Hund.
    Nach der Elchjagd gingen sie den Winter über getrennte Wege. Loyal übernahm kurzfristig Jobs bei Rinder- oder Schafhirten; die waren gut genug, bis der Schnee von den Hügeln schmolz. Wulff machte sich auf nach Las Vegas.
    »Und dann komm’ ich im Frühjahr mit’nem ganzen Batzen mehr Geld zurück, wie ich im Herbst davor gehabt hab’«, sagte er etwas selbstgefällig. »Ich führe ein wunderbares, sauberes Leben. Ich hab’ in Las Vegas’ne Wäscherei. Mein Partner in der Stadt, George Washut - ist das nicht’n Name für jemand, der in’ner Wäscherei arbeitet -, führt sie den Sommer über, wenn ich draußen zwischen den Felsen rumstochere, dann komm’ ich im Herbst mit’nem großen Elch oben auf meinem Wagen an, nicht daß er mir so gut schmeckt, aber es sieht gut aus, und dann verschwindet George nach Palm Springs, wo er irgendwas laufen hat, und ich führ’ die Wäscherei, hab’

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