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Postkarten

Titel: Postkarten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annie Proulx
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Weiden, Heu, Holz aus, ein bißchen mit Getreide. Das war nicht das richtige Stück Land dafür. Die Dinge hatten sich auch in der Landwirtschaft verändert. Er kaufte fünfzig Plymouth-Rock-Hühner, während er darüber nachdachte. Er konnte sich auf Geflügel verlegen. Oder auf Dörrbohnen oder -erbsen.
    Nachts schlief er nicht gut in diesem Metallbett, Eisen, von dem die Farbe abgeblättert war, die Laken hingen auf den Boden. Ein ungemütliches Haus. Auf dem Linoleum lag immer eine feine Schicht Sand, aus der ganzen Welt herbeigewehte Erde, braune Wirbel, die in den Steppen Zentralasiens aufstiegen und auf seinen Fenstersimsen landeten. Der Teller kratzte auf dem Tisch. Loyal hatte sich einen Dauerhusten eingefangen; der Staub reizte seine Kehle.
    In seinem tiefsten Innern hatte er geglaubt und nicht geglaubt, daß die Arbeit auf einer Farm ihn wieder ins Lot bringen würde. Seine Schwierigkeiten schienen sich jedoch zu verlagern, statt zu bessern. Eines Nachts wachte er nach einem Traum auf. Er hatte von Ben geträumt, einem allerdings viel jüngeren Ben, der unter seinen Händen dahinschmolz, sich zu einer Frau rundete, mit klaffenden Nähten, wo sein Geschlecht gewesen war, mit dem Gesicht der Hure bei Criddle’s, ihren verschmierten Augen und Kojotenzähnen. Als er um sich schlagend aufwachte, spürte er glühende Schwielen, groß wie Pfannkuchen, an Hals, Hintern, Unterarmen. Im Spiegel sah er, wie das feine, schwarze Haar mit den weißen Strähnen aus der Stirn zurückwich. Er hatte noch immer seine Wut, heiß wie frisches Blut. Und haßte sie in sich.
    Fünf Kilometer Richtung Westen waren es bis zur nächsten Farm, der Schweinezucht von Shears, einer Ansammlung von Gebäuden, die wie achtlos mit einem Besen zusammengekratzt wirkte. Am Futtersilo traf er den alten Shears an, dessen Mütze zu seinem weißen Haar und den Schnurrbartfransen um seinen üppigen Mund paßte. In der Ferne deutete jemand auf Orson und Pego, die beiden weizenblonden ältesten Söhne, Farmer, deren Land im Westen an das ihres Vaters grenzte. Oyvind Ruscha, die Hilfskraft, und seine Familie, lauter Jungen, gingen in einem an der Straße abgestellten Wohnmobil ein und aus.
    Der alte Shears hatte ein volles Gesicht, kaute Tabak, war vehement fortschrittlich eingestellt, was neue landwirtschaftliche Maschinen anbelangte. Er drängte Orson und Pego, sich einen Mähdrescher mit automatischer Lüftung und Steuerung zuzulegen.
    »Kauft einen mit einem Sechs-Meter-Messerbalken. Mit Sicherheitsglasfenstern und automatischer Lüftung. Sagt ihm, daß ihr die Schmierlager, den neuen V-Riemen- und Riemenscheibenantrieb wollt. Kauft ihn so groß und stark, wie ihr könnt. So läuft es, große, schnelle Maschinen. Die muß man haben, sonst hat man nicht die klitzekleinste Chance, es mit der Landwirtschaft zu was zu bringen.« Sie kauften auch einen Schwadlegerzusatz. Als der Mähdrescher geliefert wurde, probierte ihn als erster der Alte aus, lobte die reibungslose Schaltung und die vielen Gänge.
    »Das Teufelsding da kann alles ernten, was du anbaust, Weizen, Hafer, Gerste, Flachs, Erbsen, Reis, Klee, Luzerne, Sojabohnen, Heu, Lupinen, Sonnenblumen, Sorghum oder Unkraut, und die zwei können alles anbauen, was es ernten kann.«
    »Ja, vor allem das Unkraut«, sagte Orson, der Witzbold der Familie. Loyal mochte ihn. Erinnerte ihn an Dub. In den nächsten Tagen wollte er seinen Leuten zu Hause schreiben, ihnen mitteilen, daß er eine Farm hatte.
    Die Frau in dem Laden, wo er sein Hustenmittel kaufte, erzählte ihm Geschichten über den anderen Shears-Sohn, den jüngsten, der aus dem Vietnamkrieg als Menschenfeind zurückgekommen war, in einem Schuppen wohnte und seine Mahlzeiten auf Rindentellern zu sich nahm, mit einem zugespitzten Stöckchen oder einem alten Bajonett aß, an dem, wie sie sagte, noch Blut klebte.
    Ihr Laden war eine knarrende Hütte aus Blech, die sich neben die Landwirtschaftliche Genossenschaftsbank duckte. Die Frau hatte eine Figur, so formlos wie ausgeschütteter Zukker. Zwei merkwürdige Schneidezähne, die Stricknadelspitzen ähnelten, stachen in ihre Lippe. »Er hilft nicht mit auf der Farm. Hat sich dahinten eingegraben. Shears hat gesagt, er will ihn aushungern. Eine Woche lang haben sie ihm kein Essen hingestellt. Aber Mrs. Shears hat’s nicht ausgehalten und hat ihm jeden Abend heimlich einen Teller gebracht, wenn sie die Hühner füttern ging. Jetzt haben sie ihn so weit, daß er regelmäßig in die Veteranenklinik

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