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Postkarten

Titel: Postkarten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annie Proulx
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viel Zeit allein verbringt, nicht gezeichnet von den augenzwinkernden Verstellungen des gesellschaftlichen Lebens. Sein Blick änderte sich nicht, wenn Frauen vorbeigingen. Vielleicht, dachte er, war dieser Funke endlich erloschen. Aber er glaubte es nicht.
    Eine Stunde später hatte er gepackt und fuhr mit dem Jeep Richtung Norden. Das Alter schien ihn an der Gurgel zu pakken.
    Aber der alte Wunsch nach einer Farm war wie die Hitze eines eingedämmten Feuers, die Zeit lief ihm davon. Einundfünfzig Jahre alt. Das Schürfen, die Nächte in den Kneipen, die Sommer mit Bullet, das Erklimmen von Gebirgspässen durch Asterngebüsch, das ihm bis zur Brust reichte, sein Weg war lange der eines Verbannten gewesen. Er hatte versucht, sein Leben in einem wackligen Gleichgewicht zu halten, es war eine Gratwanderung zwischen kurzen Freundschaften und abrupten Aufbrüchen gewesen. Er dachte an die Nächte im Sand, das Geheul von Wüstenfüchsen, die blinkenden Lichtpunkte der Sterne, deren Wege und Umlaufbahnen sich kreuzten, das klaffende Innerste. Und an die bitterkalten Stunden mit Ben im Observatorium, wenn er mit der Einzelbildkamera die Sternenbahnen nachzeichnete und versuchte, Bens sprunghaftem Gerede von ferner Energie und kollabierender Materie zu folgen. Doch konnte er beim Wirbeln durch Korridore aus galaktischem Eis, durch fernes, kaltes Sternenlicht nicht ganz die Wärme des Stalls, der Küche, der elektrisch geladenen Haufen von Pelzwerk vergessen. Nie stand ihm der Sinn mehr nach Landarbeit, als wenn Ben sich kaputtgesoffen hatte und in den schwarzen Besäufnissen geiferte.
    In Mexico City, als er vor der Statue von General Álvaro Obregón hin und her schwankte, weil Ben gegen ihn taumelte, wurde Loyal von der alten Sehnsucht überflutet. Auf einem Granitsockel unterhalb der Statue schwamm der Arm des Generals in einem beleuchteten Glas mit Formaldehyd. Der gelbe Knochen ragte aus dem Fleisch, und in dem angewinkelten Knochen sah Loyal sich selbst auf dem Rücken im Bett liegen, die Hände unter dem Kopf verschränkt, die Ellbogen spitz abstehend.
    Eines nicht fernen Tages würde er tot aufwachen. Er hatte mit der Farm noch nicht einmal angefangen, mit dem Auskurieren seines Leidens an der Erde, gackernden Hühnern und einem mit schlammverkrusteten Füßen hochspringenden Hund. Er stellte sich eine Familie silberheller Kinder und ein warmes Bett vor, eine Stimme im Dunkeln anstelle der imposanten Sterne und des stummen Buches des Indianers.
    Der Arm schwamm in blutwäßriger Flüssigkeit, und als er die nackte Elle betrachtete, wußte er, daß es reichlich spät war, um auszusteigen, reichlich spät, um eine Farm zu kaufen, von allem anderen ganz zu schweigen, aber er wußte, daß er etwas unternehmen mußte oder sein Geld im Ofen verbrennen konnte. Vielleicht würde es doch noch klappen. Vielleicht tat Vernita ihm den Gefallen. Warum war er so lange geblieben?
    Abschiedskuß für das kleine Adobezimmer, Abschiedskuß für die eiskalten Nächte. Und die dämlichen Stunden, in denen er an Criddles verzinktem Tresen gelehnt hatte, bis Ben soweit war, sich fortzerren zu lassen.

34
    Dornengestrüpp

    Da war er also, einundfünfzig Jahre alt und in North Dakota. Die Farm ein kurvenreiches Stück Land, ein windschiefes Holzhaus, ausgehungerte Felder zwischen Ranches und Zukkerrübenfarmen. Warum zum Teufel kaufe ich das, fragte er sich, als er dem geiergesichtigen Mann im Schaffellmantel den Scheck hinüberschob. In seiner Vorstellungswelt eingeschlossen wie ein schillernder Käfer in einer Streichholzschachtel war das Bild seiner sanft ansteigenden, von skizzenhaften Ahornbäumen gekrönten Wiese, nicht dieses beinharte Stück Erde. Er wußte noch nicht einmal, was er damit anfangen wollte.
    Eine halbe Stunde später sah er auf der Straße den Mann in seinem Wagen, er hatte den Kopf aufs Steuer gelegt, als wollte er noch ein bißchen ausruhen, bevor er wegfuhr.
    Es war ihm unmöglich, sich das Land als seine Farm vorzustellen, darum nannte er es »das Stück Land«. Genau das war es, ein Stück Land. Er wußte nicht, was er machen sollte, Zuckerrüben anbauen, Sojabohnen, Weizen - der Landwirtschaftsberater hatte neue Sorten - Durum, Carleton und Steward - erwähnt, gute Qualität und Widerstandsfähigkeit gegenüber Ährenrost. Die Maschinen waren teuer. Er könnte auch Rinder oder Schweine züchten. In Rindern steckte Geld, doch dazu mußte man geboren sein, dachte er. Er kannte sich nur mit Milchwirtschaft,

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