PR 2620 – Fremde in der Harmonie
Ermittlungen beginnen würde, stand für mich fest. Nur, wie genau?
Gewiss, in der Kunsthalle und wohl auch in dem Bereich dahinter gab es sicherlich Aufzeichnungen über den Vorfall – aber diese überaus weltlichen Mittel zu nutzen widerstrebte mir.
So ging ein Harmoniewächter nicht vor. Bislang hatte ich derart profane Methoden niemals angewendet, um einen Jyresca aufzuspüren. Es widersprach unserem ungeschriebenen Ehrenkodex.
Andererseits hatten sich die Zeiten ganz offensichtlich geändert, und neue Probleme erforderten neue Herangehensweisen. Angesichts des Ausmaßes der Bedrohung musste ich alles neu überdenken.
Dennoch blieb es eine Tatsache, dass sich die Harmoniewächter gerade dadurch auszeichneten, dass sie außerhalb sämtlicher Herrschaftsstrukturen standen. Wir schöpften unsere Kraft aus speziellen, paranormalen Fähigkeiten.
Unsere Berufung und Loyalität basierte auf dem direkten Kontakt mit TANEDRAR am Ende der Ausbildung. Darauf gründete sich mein gesamtes Sein.
Es war eigenartig, mit welcher Vehemenz ich mir dies selbst in Erinnerung rief. Immerhin handelte es sich um eine Selbstverständlichkeit, um etwas absolut Grundlegendes! Wieso dachte ich nur ...
... ich stand vor TANEDRAR und schaute. Immense Herrlichkeit überflutete mich, die Größe und Schönheit der Harmonie.
Die Augen musste ich schließen, denn mir war, als müsse ich sonst erblinden. Es war der Moment, in dem ich empfing, der Augenblick, in dem ...
... das Wasser floss gurgelnd ab, und die Braktar-Symbionten vermochten sich nur noch kurz festzuhalten, ehe sie hinwegwirbelten und auf den nächsten Besucher warteten.
Ich merkte erst, dass ich die Luft anhielt, als mein gesamter Körper nach Sauerstoff schrie. Zischend füllte sich der Kehlsack, und unwillkürlich entwich mir ein quakendes Geräusch.
Vor Scham blickte ich unter mich.
Viel wichtiger als all diese kleinen Details, die mich in die Wirklichkeit zurückgerissen hatten, war etwas anderes. Wieso war ich schon wieder, zum zweiten Mal in so kurzer Zeit, in eine Art Vision gerissen worden?
Automatisch schnellte meine Zunge vor, und ich atmete Onezinar. Ein weiteres Mal. Bereits mein Vater hatte mich gewarnt, dass ich eines Tages noch süchtig danach werden würde. Unsinn! Ich könnte jederzeit darauf verzichten, wenn es notwendig sein sollte.
Und schon wieder floh ich mich gedanklich in irgendwelche Nichtigkeiten!
Ich stieg unter eine Schauerdusche mit wechselwarmem Wasser und Kristallspeicherkügelchen. Als ich dort ganz nüchtern und logisch über alles nachdachte, verstand ich, woher die Visionen kamen und wieso sie mich gerade zu diesem Zeitpunkt überfielen.
Es lag doch auf der Hand!
Alles kam zusammen, alles änderte sich für mich. Ich erhielt eine neue Aufgabe, die an den tiefsten Konstanten meines Daseins rüttelte. Ich war gezwungen, Mittel und Methoden zu wählen, die ein Harmoniewächter verachtete.
Aber all das war richtig, ich musste mir kein schlechtes Gewissen machen. Ich verriet TANEDRAR damit nicht, im Gegenteil, denn ich schützte die Harmonie, wenn ich das Rätsel um die verschwindenden Jyrescao löste und um die Escalianer, die ihnen halfen.
Deshalb erinnerte ich mich so intensiv an den wichtigsten, grundlegenden Moment meiner Laufbahn. Darum diese mystische Erfahrung, dass ich meinen paranormalen Begleiter, den Splitter der Superintelligenz, nun plötzlich sehen konnte.
Ganz sicher befand ich mich auf dem richtigen Weg, selbst wenn er mich in unbekannte Gefilde führte. Ich würde die Grenzen dessen, was einem Harmoniewächter möglich und bei einem Einsatz üblich war, ganz einfach dehnen.
Als ich wieder im Gleiter saß, kündigte ich dem Leiter der Harmonieschule meinen Besuch an.
*
»Du willst – was?« Der Schulleiter, ein älterer Humanoide, klang fassungslos. Über seiner Maske ragte ein Kranz aus schlohweißen Haaren in die Höhe, der die ansonsten kahle Kopfhaut umgab.
Er war mir seit Langem bekannt; in meiner Studienzeit hatte ich ein Jahr auf Klion verbracht, und schon damals amtierte Koos Fran als Leiter der Harmonieschule. Danach war ich viele Jahre lang auf anderen Planeten unterwegs gewesen, ehe es mich wieder auf diese provinzielle Randwelt verschlug. Dass sich ausgerechnet dort eine Aufgabe von solch eminenter Wichtigkeit finden würde, hätte ich nie für möglich gehalten, als ich mit einigem Missmut den abseits gelegenen Planeten erreicht hatte.
»Ich bitte, nein, ich verlange Einblick in die
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