PR 2627 – Die letzten Tage der GEMMA FRISIUS
lang gezogener Ton strapazierte Davids Gehörgänge.
Desintegratorladungen zündeten, der Hawk verwandelte sich in Feinstaub. Die Selbstvernichtung war nach einem Schema erfolgt, das Techniker der LFT unter Berücksichtigung aller Vorsichtsmaßnahmen entwickelt hatten. Alle Energieflüsse wurden rechtzeitig gekappt, alle potenziellen Gefahrenherde im Inneren des Aggregats der Reihe nach entschärft.
Es war vorbei.
Die TARAS stellten das Feuer ein. Sie standen scheinbar ratlos umher, mit einem Mal ihrer Aufgabe beraubt. Staub wirbelte auf und verteilte sich im Raum.
Ein Ruck. Leicht und doch zu spüren. Mehrere Warnsignale im Gang blinkten auf.
»Wir sind ins Standarduniversum zurückgestürzt«, sagte Towa Ormaject. Sie wirkte völlig verblüfft. »Wir haben's tatsächlich geschafft!«
»Noch ist die Sache nicht ganz ausgestanden«, murmelte David. Er starrte ins Innere der Halle. Auf das Ersatzgerät. Eine halbe Minute verging. Sekunden, die sich endlos in die Länge zogen. Zeit, in der die TARAS auf weitere Anweisungen warteten.
Ein Klacken. Der Ersatz-Hawk wollte mit der von David vorgegebenen Verzögerung anspringen. Er griff nach bestätigenden Impulsen, nach bestätigenden Anweisungen der Positroniken. Doch die kamen nicht oder nur in unzureichender Menge.
37 mochte mittlerweile eine nahezu vollständige Herrschaft über die Schiffsgehirne errungen haben; doch das bedeutete längst nicht, dass er mit jenen Datenketten umzugehen vermochte, die David bei der Vernichtung des Hauptaggregats auf Reisen geschickt hatte.
Eine Imitation jener Befehlskette, mit deren Hilfe er das Hauptaggregat außer Gefecht gesetzt hatte, erreichte das Redundanzsystem – und trieb es ebenfalls in die Selbstvernichtung.
»Gute Arbeit«, sagte Kommandant Tivelani und klopfte David anerkennend auf die Schulter.
Oh ja! Er hatte sie ein weiteres Stück Richtung Abgrund gedrängt. Der Widerstand von 37 würde weiter zunehmen, und ihr Gegner würde noch weniger Rücksicht auf die Besatzungsmitglieder nehmen – wenn er es denn jemals getan hatte. Jene Gruppen, die sich um die anderen vier Hawks kümmern sollten, erwartete eine umso schwerere Aufgabe.
Die GEMMA FRISIUS glitt deutlich spürbar in den Linearraum.
37 hatte den nächsten Hawk aktiviert.
Eine neue Runde begann.
*
Sie gelangten in einen Bereich des Schiffs, der wie tot erschien. In dieser finsteren Ödnis herrschte keine Schwerkraft, kein Sauerstoff war vorhanden, und nichts bewegte sich. Dicke Stränge des Pseudoharzes waren vollständig ausgehärtet; sie zogen sich kreuz und quer, wie zu dick geratene Lianen, denen da und dort Sprösslinge aus den Seiten wuchsen und sich immer weiter verästelten.
Die Mitglieder der kleinen Gruppe entdeckten verkohlte und verätzte Leichen. Sie begegneten Service-Robotern, die unvermittelt über sie herfielen. Sie wurden mit Giftgas konfrontiert, gerieten in den Fokus einer Infraschall-Waffe, mussten sich gegen einige unkoordiniert angreifende TARAS durchsetzen.
Und sie fanden Achtsieben.
Er und seine Leute hätten sich um den vierten Hawk kümmern sollen. Nun lagen sie da, die Körper von Lianen des Pseudoharzes zusammengepresst, unweit jener Halle, in der sich ihr Ziel befand.
»Setzt ihn auf!«, befahl Toma Ormaject.
»Wie bitte?« Mohanram Tivelani starrte sie verständnislos an.
»Sirenius hatte seine eigenen Vorstellungen vom Tod. Ein Bewohner von Baldurs Welt wird nur in sitzender Position ehrenhaft in Erinnerung behalten.«
»Das wusste ich nicht ...«
»Du weißt vieles nicht, Kommandant. Deshalb bist du auch nicht sonderlich beliebt an Bord.«
Klüfte öffneten sich, von denen David gehofft hatte, dass sie sich für immer geschlossen hatten. Die beiden Offiziere waren wie Feuer und Wasser. Was ist das bloß für ein tief liegender Hass, der die beiden selbst jetzt aufeinander losgehen lässt?
Sie schleppten Sirenius Achtsieben beiseite und lehnten ihn gegen eine Wand. Towa richtete den Kopf des Toten sanft zurecht. So, dass er in die Richtung einer Lücke in der Außenhaut der GEMMA FRISIUS blicken konnte. Hinaus auf Sternennebel und Sternhaufen, um deretwillen er das Leben auf Baldurs Welt gegen die Qual getauscht hatte, sich unter völlig fremden und ihm unverständlichen Lebewesen bewegen zu müssen.
»Weiter!«, sagte Tivelani. Er zog die Waffe und bewegte sich vorwärts, ohne Sirenius Achtsieben noch einen Blick zu widmen.
Towa Ormaject verharrte eine Weile. Ihre Lippen bewegten sich wie im
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