PR 2629 – Die Weltengeißel
altüberlieferten, heiligen Kleingruppen würden sie bald losziehen.
Tion starrte bewegungslos durch die Sichtscheibe. Die OMAJOR sank tiefer, doch noch einmal streifte sein Blick hinauf in die Weiten des Alls, kaum getrübt von wenigen Hundert Metern aus dünner Atmosphäre.
Etwas schob sich hinter der Sonne hervor, die genau in seinem Sichtfeld lag. Zuerst sah es aus, als wollte sich der orangerot brennende Ball ausbeulen oder als würde sich wie bei einer bizarren Geburt neues Leben aus dem Gestirn herausdrücken.
Doch im nächsten Augenblick erkannte Tion Yulder das halbtransparente, düsterrote Monstrum, das sich langsam an den Planeten Cruny heranschob.
Groß wie ein Mond, dachte er, und tödlicher als eine Bombe selbst bei diesem gigantischen Umfang je sein könnte.
Die glühende Sphäre schob sich weiter, löste sich von der Sonne: der rote Tod. Das Fanal des nahenden Endes.
Tion erahnte einen schattenhaften Umriss in dem riesigen Etwas, dann drehte sich die OMAJOR und schnitt ihm den Blick ab. Seine Hände zitterten, er fühlte Erleichterung. Und Angst, die aus dem innersten Teil seiner Seele hervorkroch.
Das Waffenboot setzte auf dem Planeten auf, und viele Hunderttausend Kilometer über ihnen flog die Weltengeißel in Position – ein bizarres Monument der Macht QIN SHIS.
»Knapp acht Stunden bis zur Ankunft der Weltengeißel und dem Beginn der Aktivierung!«, tönte die Stimme eines Badakk durch den Lagerraum. »Bis dahin muss alles perfekt nach Plan laufen. Wir sind soeben gelandet. Ausströmen, Dosanthi: Euer Einsatz beginnt!«
*
Ein Xylthe wartete im Freien vor der OMAJOR. Tion erkannte ihn sofort. Reparat Inbetik, der persönliche Adjutant des Protektors Kaowen, übernahm den Befehl über die siebzig Siebenergruppen, denen auch Tion angehörte.
Ein Zufall? Oder hielt Inbetik ihn unter Beobachtung? Wohl kaum, sagte sich Tion. Während eines solchen Einsatzes würde sich kein hochrangiger Xylthe mit einer derartigen Nichtigkeit belasten. Wenn der Reparat tatsächlich einen Verdacht gegen Tion hegte, hätte er ihn exekutiert, ohne einen weiteren Gedanken zu verschwenden.
Für einen Mann wie Inbetik gab es Wichtigeres als einen bedeutungslosen Dosanthi.
Den Befehl konnte der Reparat ohnehin nur aus der Ferne wahrnehmen, indem er der Gruppe per Funk Anweisungen erteilte. Für ihn war es unmöglich, in der Nähe der Dosanthi zu bleiben, sobald sie ihre paranormale Ausdünstung verströmten; auch er wäre sonst in heillose Panik verfallen, wie es für die Cruny vorgesehen war.
Nur Badakk-Kampfroboter begleiteten die Dosanthi auf ihren Einsätzen. Ihre Technologie wies keinen biologischen Anteil auf und blieb deshalb voll funktionsfähig.
Während Tion losstürmte, seine aufrechte Haltung und Gestalt einnahm und das Ogokoamo aktivierte, gab Inbetik weitere Informationen. Demnach lief bislang alles perfekt, Gruppen von Dosanthi versetzten bereits über 80 Prozent der Bevölkerung quer über alle Kontinente in Panik.
Die Cruny reagieren dank ihres für die Gedanken des Kollektivs offenen Geistes ebenso hervorragend gut auf die Aggressionen der Dosanthi, erklärte der Reparat. »Noch mehr als andere Völker nehmen sie nicht nur die Angst, sondern auch die Aggression instinktiv in sich auf und richten diese auf ihre Artgenossen. Sie bekämpfen sich in großem Maß selbst, schlachten sich gegenseitig ab. Die Zahl der Todesopfer bleibt allerdings in einem erträglichen Rahmen. Sie dient lediglich der Vorbereitung des Gesamtkollektivs auf die Ankunft der Weltengeißel, sodass nicht zu viel wertvolle Lebensenergie verloren geht. Wir können sicher sein ...«
Tion hörte nicht weiter zu. Er rannte los, inmitten seiner Siebenergruppe, und verwandelte seine Furcht in Aggression. Seinen sechs unmittelbaren Begleitern gönnte er dabei keinen Blick.
Er verströmte sein Ogokoamo und fühlte seine Macht, wie wohl alle anderen Dosanthi ebenfalls. Sie waren ein fast willenloses, wütendes Heer, von ihren Ängsten getrieben, ihren Befehlen folgend.
Nirgendwo spürte Tion Widerwillen. Fast vergaß er selbst, wie viel Leid sein Volk auf diesem Planeten anrichtete. Aber nur fast. Denn ein Teil von ihm verzweifelte daran, dass er an der tödlichen Konsequenz nichts ändern konnte. Die Weltengeißel würde reiche Ernte einbringen.
Während er rannte, schrie er, und er fragte sich, warum.
7.
Szimon Corosh'tha, Cruny
Sechs Stunden vor Beginn des Weltuntergangs
Szimon flog am Rand der Wolken
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