Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

PR 2645 – Die Stadt ohne Geheimnisse

Titel: PR 2645 – Die Stadt ohne Geheimnisse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wim Vandemaan
Vom Netzwerk:
viel, ein zweites Glas Wasser mit wenig Salz. Gedünstetes Obst; ein Schälchen voll frittierter Knollenscheiben, mild, aber exotisch gewürzt. Eine gefrorene Bittersauerspeise. Beqain Carubeq vermisste lediglich die Wohlbekommswürmer, die man lebendig schluckte, um sie im Magen Gutes tun zu lassen.
    So lange jedenfalls, bis sie selbst verdaut waren.
    ALLDAR ist offenbar Vegetarier , überlegte Carubeq.
    Umgeben von nichts als den stillen Phantomen, hörte er in der endlosen Halle nur seine eigenen Essgeräusche.
    Nachdem er gespeist hatte, stand er auf.
    ALLDAR meldete sich sofort. »Geht es dir gut?«
    »Ja«, sagte er. »Hast du getan, worum ich dich gebeten habe? Hast du noch einmal alles überdacht?«
    »Gewiss«, sagte ALLDAR. »In allem Ernst und aller Wahrhaftigkeit, deinem Wunsch gemäß.«
    »Und?«
    »Ich werde sterben«, verkündete ALLDAR mit einem leisen Triumph.
    Beqain Carubeq spreizte beide Armpaare in einer zugleich beschwörenden wie abwehrenden Geste. Die Zukunft seines Volkes, der gesamten Mächtigkeitsballung hatte sich schlagartig in ein Vexierbild entstellt.
    »Du lässt uns also allein. Du lieferst uns aus. Du ruinierst die Aufbauleistung von Jahrzehntausenden.« Er redete und redete. Seine Verzweiflung durchlief etliche Metamorphosen, verwandelte sich in Zorn und der Zorn in kalte Wut, und die Wut wuchs in einem Maß, dass ihn Scham überkam. Irgendwann erschienen in den Tiefen seiner Wut die Vorzeichen von Hass.
    Da unterbrach ALLDAR seinen Ausbruch: »Beqain Carubeq. Lass gut sein. Gönn mir meinen Tod.«
    »Aber warum?«, fragte Carubeq. »Du bist doch nicht krank. Du bist nicht einmal sterblich.«
    »Ich erinnere mich gut, wie blendend Unsterblichkeit in den Augen der Sterblichen glänzt.«
    »Hat sie diesen Glanz in deinen Augen verloren?«
    »Ich könnte sagen: Der Glanz ist nicht verloren, er hat sich nur verändert. Ich könnte sagen, was ich wollte, und nie wärst du zufrieden. Ich könnte dich bitten, dir den Tod als eine Kontur vorzustellen, die, wenn sie verloren geht, alle Gestalt zerfließen lässt. Verstehst du das?«
    »Nein.«
    »Dann bitte ich dich: Gönn mir dieses letzte Abenteuer, das einem wie mir bleibt. Ich habe die tiefen Canyons der Raumzeit gesehen, in denen die Protoversen sich eingegraben haben; ich habe mit den Gesandten der Rückwärtsdenker verhandelt, die aus einer fast unmöglichen Zukunft Jahrmilliarden in die Vergangenheit tauchen, bis zu uns. Ich habe den Neunlenkern des Sternenschwarms beigestanden, das Licht der Vernunft in die verborgene Galaxis Paoriy zu tragen. Ich habe alles gesehen oder doch von allem das Ähnliche. Nur den Tod kenne ich nicht.«
    »Man kann den Tod nicht kennen. Man kann ihn nicht erleben. Das sind Spitzfindigkeiten.«
    »Was immer es ist.«
    Beqain Carubeq blendete seine Sinneszacken aus und ließ seine Sprachmembran erschlaffen.
    ALLDAR sagte: »Lasst mich gehen, meine Geliebten.«
    »Du nimmst uns allen alle Hoffnung«, begehrte Carubeq noch einmal auf.
    »Das ist Unsinn: Es wird ohne mich weitergehen, und euch wird es ohne mich gut gehen.«
    »Gehen?«, wiederholte er matt. »Weiter und gut? Aber wohin?«
    »Dorthin, wohin ich euch jetzt vorgehe.«
    »Dann werde ich hier bleiben«, entschied Carubeq trotzig.
    »Das wirst du nicht.« Zum ersten Mal überhaupt und in diesen Worten spürte Carubeq die Macht dieser Wesenheit. Die Worte der Superintelligenz waren nicht bloße Worte. Es hatte nur diesen Anschein, solange es ALLDAR recht war. Tatsächlich besaß, was er sagte, eine nie gespürte Wucht.
    Ein Wort, und ALLDAR könnte meinen Willen deformieren. Er könnte mir alle Freiheit nehmen, meine ganze geistige Substanz. Wie ein Schatten aufhört, wenn die Sonne im Zenit steht. Er schauderte zurück.
    »Du musst dich nicht fürchten«, hauchte die allgegenwärtige Stimme. »Ich gräme mich nicht über dich. Ich will dir keinen Harm.«
    »Ja«, sagte Carubeq.
    »Es sind viele gekommen. Groß ist die Zahl der Zuschauer meines Todes.« Carubeq glaubte, den Worten der Superintelligenz eine Mischung aus Wehmut und Stolz zu entnehmen. Im selben Moment fühlte er sich versetzt auf Hunderte Raumschiffe, sah sich selbst in Hunderten Sesseln, Steuerständen, Pilotenkuhlen sitzen, stehen, liegen, verwandelt im Körper, unter hundert verschiedenartigen seinesgleichen. Er war ein Koloss von Pdosh, dessen mathematiksüchtige Sinnessymbionten unter ledrigen Hautteppichen geborgen lagen; er war ein hochwürdiger Ssaa'st, ein schlangenförmiger

Weitere Kostenlose Bücher