PR 2675 – Der Glanz der Stille
Parasiten auf dem Rückenschild der Käfer, die an den Blättern der Bäume saßen und unersättlich fraßen.
Die Stadt wartete. Die Stadt und ihr Marktplatz der ... ? Der Name war ihr entfallen, dabei lag er ihr auf der Zunge. Sarmotte schnalzte, aber es half nichts. Sie widerstand den optischen Verlockungen der Allee jetzt ohne Anstrengung. Sie schaute Richtung Stadt, die sich vor ihren Augen entfaltete, diese Ansammlung von Inbildern kühner Architektur, jedes Gebäude von einem Baumeister ohnegleichen errichtet; sie sah die glorreichen Parks, die Wasserspiele und Gärten – doch wo waren die Gärtner?
Musste der Marktplatz nicht schon nah sein, das Forum im Herzen der Stadt? Wo waren die Sanftmütigen aus der Gilde der Kreditoren? Die Quintadimkonstrukteure, das Wartungspersonal der Gemütsmaschinen? Die Waffeningenieure und Deflektorschneider? Die Warenpropheten mit ihren Verkaufskonvertern? Wo waren, nicht zuletzt, all die Kunden, die Barden, Drüsendesigner, Freudenspender des Marktes, die Hüter der Sieben Armseligkeiten und die Brandbettler aus den Zonen der Gefechte?
Und wo, um alles im Geltungsbereich, waren die Deuter des Dogmas von Pau, diese sonst so beredten Herolde des Musters?
Alles lag so still.
Da standen Skulpturen und Plastiken, manche von ihnen den Maschinen ähnlicher, die sie vor langer Zeit beim ersten Betrachten des Fadens entdeckt hatte, als einem Lebewesen.
Oder?
Musste sie sich nicht von ihren menschlich verständlichen, dennoch eng gefassten Grenzen befreien? Galt die Grenze zwischen Maschine und Lebewesen an jenem Ort oder war sie aufgehoben, überwunden?
Ihr Blick wurde aus den Gärten und Grünanlagen fort und tiefer in die Stadt gesogen, folgte der Straße, durch Tunnel, über Brücken und weit geschwungene Gebilde, die sie an Aquädukte erinnerten. Sie staunte die Gebäude an, die sich in den Himmel aus Gold und Honig reckten: mal ornamental-verspielt wie in die Höhe gezogene, verwunschen-verwinkelte Märchenschlösser, mal von einer unüberbietbar demütigen Eleganz, mal himmelhoch und leichthin gebaut und ausgerüstet mit weit hinausgestreckten Balkonen, auf denen Teiche zu sehen waren, Seen, über die Brücken führten, auf denen Gebäude thronten, versehen mit ovalen Fenstern, Glasfronten, durchscheinenden goldenen Lichthäuten.
Wo waren die Bewohner?
Zwar zehrte der Markt wie eh und je, aber er stand leer. Welchen Grund hätte also irgendwer, aus dem Haus zu gehen?
Ihr Blick drang durch eine der Lichthäute, in einen Innenraum, einen Saal, der ...
»... antworte endlich!«
Sie erschrak. Von wo wurde sie gerufen?
»Shanda. Sieh mich an! Sieh mich an, Shanda!«
Sie fühlte einen Druck am Kinn. Es schmerzte. Sie griff mit der freien Hand nach oben und bekam ein Handgelenk zu fassen. Sie versuchte, das fremde Handgelenk fortzuschieben und so das Kinn freizubekommen. Stattdessen drückte die Hand stärker zu und presste dadurch die Innenseite ihrer Wange gegen die Zähne.
Schon schmeckte sie Blut.
»Was ...«, sagte sie. Das Sprechen tat weh. »Was tust du?« Sie starrte Toufec an, der sie am Kinn gepackt hielt.
Er lockerte seinen Griff. »Ich? Was tust du? Du bist nicht mehr ansprechbar gewesen. Was ist denn?«
Sie schaute zurück auf den Faden, der immer noch in ihrer Handfläche lag.
»Ich habe mir etwas angeschaut«, murmelte sie und rieb sich das schmerzende Kinn. Es war mühselig zu reden, nicht nur wegen Toufecs Zugriff. Zunge und Lippen waren wie Blei.
»Diesen Panfaktor?«
Sie nickte. Ihr war, als hätte jemand ihren Geist mit einer Kelle ausgeschöpft. »Lass mich schlafen.« Sie murmelte noch etwas, dessen Sinn ihr selbst nicht klar war. Als sie einschlief, fing Toufec sie auf.
*
Es war tiefe Nacht, als sie aufwachte. Toufec saß neben ihr wie ein Hüter ihres Schlafs. Er beugte sich zu ihr, sein Gesicht nah bei ihrem.
»Vier Stunden«, sagte er gedämpft. »Falls es dich interessiert.«
»Sehr.« Sie gähnte. Sie war müde, aber es war eine wohlige Müdigkeit. Das Sprechen fiel ihr wieder leichter.
Sie spürte Toufecs Neugierde.
»Du hast mich schlafen lassen.«
»Der SERUN hätte dich wahrscheinlich wecken können. Es lagen keine Symptome für eine muskuläre oder körperliche Ermüdung vor. Allerdings gab es Anzeichen einer Irritation in deiner Formatio reticularis. Möchtest du die ausführliche Diagnose hören?«
»Hm«, brummte sie. »Liegen unheilbare Schäden vor?«
»Wohl nicht. Ich habe dem SERUN jedenfalls befohlen, dich
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