PR 2722 – Altin Magara
dürfte nicht existieren, wenn die Temperaturschwankungen einer statistischen Gaußverteilung unterliegen. Allerdings sehe ich keine Hinweise auf etwas im Vordergrund, was ihn verursacht haben könnte. Und für jede diskutierte Hypothese muss man neue physikalische Effekte annehmen. Im Augenblick favorisiere ich keine dieser Spekulationen – sie sind alle ziemlich abseitig.«
Narbe in der Raumzeit?
Eine solche »ziemlich abseitige« Erklärung hat Neil Turok, heute Direktor am Perimeter-Institut für Theoretische Physik im kanadischen Waterloo, zusammen mit dem Team um Marcos Cruz vorgeschlagen: Der Kalte Fleck könnte von einem dreidimensionalen »topologischen Defekt« stammen, einer sogenannten Textur.
Texturen sind eine Art Narbe im Gewebe der Raumzeit – geknüpft aus eingeschlossener Energie, dem Relikt des extrem energiereichen »Vakuums« der kosmischen Urzeit. Solche Gebilde entstehen bei Phasenübergängen, wie sie bei der Abkühlung des frühen Universums vorgekommen sind, und ähneln Versetzungen in Kristallen oder Blasen im Eis. Eine Textur hat aufgrund ihrer hohen Energiedichte ein enormes Gravitationsfeld, das die Materie in seiner Umgebung anzieht und den vorbeifliegenden Photonen der Kosmischen Hintergrundstrahlung Energie raubt – und so den Kalten Fleck erzeugt. »Nach unseren Rechnungen wäre die Textur etwa eine Milliarde Jahre nach dem Urknall kollabiert – in einer heutigen Entfernung von rund 20 Milliarden Lichtjahren«, sagt Marcos Cruz.
Der Knoten wäre ein nie zuvor beobachteter neuer physikalischer Effekt und eine fulminante Informationsquelle über das sehr frühe Universum. Das würde Physikern Einblicke in eine Energieskala ermöglichen, die weit jenseits irdischer Laborbedingungen liegt. Die Textur-Hypothese hat auch den Vorteil, überprüfbare Voraussagen zu machen: So dürfte der Kalte Fleck kein Polarisationsmuster haben, dafür müsste es bei ihm aber charakteristische Gravitationslinsen-Effekte geben, weil die Schwerkraft der massereichen kollabierten Textur Lichtstrahlen in ihrer Umgebung verbiegt. Das können Spezialteleskope überprüfen. Und vielleicht geben bereits Polarisationsdaten des Planck-Satelliten Auskunft, die wohl Mitte 2014 veröffentlicht werden. Außerdem müssten weitere Texturen im All existieren: bis zu 30 mit einem Grad Durchmesser und vielleicht ein halbes Dutzend mit zwei Grad, schätzt Patricio Vielva.
Wirbeltor im Universum?
Fast schon ironisch mutet es an, dass Texturen auch »Löcher« enthalten und mit anderen Universen zu tun haben könnten – wenn auch auf ganz andere Weise als bei Laura Mersini-Houghton. Im Rahmen avantgardistischer Quantengravitationstheorien wird nämlich überlegt, ob unser Universum in einen höherdimensionalen Raum eingebettet ist. Es wäre dann eine vierdimensionale »Bran« (das Wort leitet sich von »Membran« ab) in fünf oder mehr Dimensionen. Und Texturen in dieser Bran könnten Wirbel sein, die die Bran gleichsam perforieren. Theoretiker sprechen von Skyrmionen, was eigentlich stabile Wirbel in Feldern sind.
Antonio Lopez Maroto von der Universität Madrid und seine Kollegen haben nun überlegt, ob ein solches seltsames Gebilde den Cold Spot verursacht hat. Das könnte sogar eine Art Tunnel durch die Raumzeit eröffnen: »Diese Art von Texturen, Branen-Skyrmionen genannt, sind Löcher in der Bran, die es ermöglichen, sich durch sie entlang des extradimensionalen Raums zu bewegen.«
Das ist eine extravagante Vorstellung. Aber, um den französischen Schriftstellers Joseph Joubert zu zitieren: »Es ist besser, eine Frage zu diskutieren, ohne sie zu entscheiden, als eine Frage zu entscheiden, ohne sie zu diskutieren.« Und die Diskussion um den Cold Spot wird sicherlich noch eine Weile anhalten. Doch so wichtig Diskussionen in der Wissenschaft auch sind – neue Beobachtungen oder theoretische Erklärungen können eine Frage beantworten und somit eine Kontroverse entscheiden. Es geht eben nicht nur um Worte. Wer weiß, welche erstaunliche Tatsache uns der Kalte Fleck des Universums bald enthüllen wird ...
Weiterführender Weltraumlesestoff
Die Planck-Mission der ESA: http://sci.esa.int/planck
Homepage von Lawrence Rudnick: http://webusers.astro.umn.edu/~larry
Vaas, R.: Das Loch. bild der wissenschaft Nr. 9, S. 50–55 (2008)
Vaas, R.: Die Achse des Bösen. bild der wissenschaft Nr. 9, S. 52–59 (2013)
Vielva, P.: A comprehensive overview of the Cold Spot. In: Huterer,
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