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PR 2723 – Nur 62 Stunden

PR 2723 – Nur 62 Stunden

Titel: PR 2723 – Nur 62 Stunden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Marcus Thurner
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sein Gesicht gespiegelte Holobild. Mit jedem Lidschlag veränderte sich die Darstellung. »Wir achten insbesondere auf den Funk- und Nachrichtenverkehr. Bis jetzt haben sich die Entführer nicht bemerkbar gemacht.«
    Gucky verbarg seine Enttäuschung. Er hatte gehofft, ihre Gegner aus der Reserve locken zu können und sie nervös zu machen. Ein einziger ungewöhnlicher Funkspruch, den TESEKKÜRLER nicht dem üblichen Verständigungswirrwarr in der Stadt zuordnen konnte, mochte reichen, um den Tefrodern auf die Spur zu kommen.
    Hätte. Wäre. Vielleicht. Wahrscheinlich ... Es gibt so viele Eventualitäten – und wir haben nichts Greifbares in der Hand. Was, wenn die Entführer Istanbul wirklich längst verlassen haben?
    Er ließ den SERUN eine weitere Flugroute berechnen, einen weiteren Außenkreis rings um den Tatort. Er leistete eine Sisyphusarbeit. Bislang hatte er etwa null Komma fünf Prozent des Stadtgebiets abgesucht – und er konnte längst nicht garantieren, alle Stadtbewohner erfasst zu haben.
    Gucky tauchte in gespiegelte Gedanken und Erinnerungen ein. Er sah das Bild eines Liebhabers, die Darstellung einer arkonidischen Spielekonsole. Die Hoffnung, die ein einsamer und verbitterter Mann in den Techno-Mahdi setzte. Die bitterrote Lust an Rache, verbunden mit Bewegungen, die das Einstechen auf einen blutüberströmten Torso zum Thema hatten. Ein Baby träumte von zärtlichen Berührungen und von einer milchtriefenden Brust, ein Junge verlor in grellem Sonnengelb seine Jungfräulichkeit. Ein alter Mann sah seine Hoffnung auf einen weiteren Tag Leben im Hospiz schwinden, er sandte Gedanken an Tränen und unendliche Trauer aus.
    Zwei Burschen saßen – in stählernen Träumen verhangen – eingeschlossen in illegalen Spiele- und Lebenskonsolen, die sie seit Jahren nährten und zugleich von ihren Gedankenbildern lebten. Was sie träumten, floss wiederum an anderen Stellen der Stadt in das widerliche, selbst erhaltende Treiben von mehr als zehntausend Teilnehmern in Istanbul.
    Und da waren Gedanken an Liebe, gespiegelt von zwei Hundertfünfzigjährigen, die sich gegenseitig betrachteten und sich so wahrnahmen, wie sie in ihrer Jugend ausgesehen hatten. Es war ein Bild voll Hoffnung, Schönheit, niemals versiegender Zuneigung. Ein Traum aus Glutrot und Dottergelb. So lebendig, so ... allumfassend. Es drückte aus, was die Terraner in ihren besten Phasen sein konnten.
    Gucky wurde es leicht ums Herz. Solange es Eindrücke wie diese zu spüren und zu erleben gab, war ihm um die Menschen nicht bange.
    Etwas Neues machte sich bemerkbar. Es durchdrang das Bild von Liebe, zerriss und sprengte es.
    Gucky blickte Bostich ins Antlitz. Einem Bostich, der zornig und entsetzt war. Der eine Demütigung reglos und ohne Chance auf Gegenwehr über sich ergehen lassen musste.
    Gucky tastete nach Couff. Er brauchte Berührung. Jemanden oder etwas, an dem er sich festhalten konnte, um das Gesehene ohne Folgeschäden zu verarbeiten. Denn er musste mit ansehen, wie Bostich durch ein Stück Land geschleppt wurde, das einem Albtraum entsprungen sein musste. Nicht greifbare, unbegreifbare Geschöpfe lauerten allerorts. Sie betrachteten den Imperator mit kaum unterdrückter Gier. Sie warteten darauf, dass etwas geschah. Dass die Bewegungen endeten. Dann würden sie über ihn herfallen und ihn in ihrem Land festhalten, fernab jeglicher Realität.
    Gucky fühlte Schmerz. Es dauerte eine Weile, bis er begriff, dass ihn jemand geohrfeigt hatte. Seine rechte Wange brannte. Er öffnete seine Wahrnehmung für die Realität und sah sich zornig um. Da war bloß Vanzahn Couff, der ihn betrachtete. Er schwebte neben ihm, ängstlich und zitternd.
    »Es tut mir leid«, sagte der Mann, »aber du hast so laut geschrien ...«
    »Schon gut«, unterbrach ihn Gucky. »Du hast das Richtige getan. Danke!«
    Die Ohrfeige hatte ihn davor bewahrt, zu tief in diese bedrohliche Un-Welt vorzudringen. Die seltsamen Wesen, deren eigentliche Gestalt er nicht visualisieren konnte, hatten einen Sog entwickelt, der ihn womöglich in ihr Terrain gespült und dort für alle Zeit festgehalten hätte.
    Er konzentrierte sich wieder auf Bostichs Bild. Der Imperator verlor an Substanz. Er verschwamm, sosehr sich Gucky auch bemühte, das Bild festzuhalten.
    Gucky überlegte. Die Impressionen mochten Teil einer Traumsequenz sein. Die Gedanken, die er wahrnahm, kamen sprunghaft und wirkten unzusammenhängend.
    Er hatte einen der Entführer ausfindig gemacht! Der Mann – die

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