PR Andromeda 05 - Der Schattenspiegel
durchschneidet? Bleibt ihr dann stehen, bis ihr verhungert seid?
Stampfende Schritte zeigten ihm an, dass der Gorthazi sich in Bewegung gesetzt hatte. Masquin beeilte sich, ihm zu folgen.
Der Tefroder betastete seinen Körper, als müsse er sich davon überzeugen, dass er nach wie vor existierte. Er war nackt - genau so, wie er in die kleine Statue des Meisters getreten war. Doch er spürte, dass etwas mit ihm geschehen war. In ihm nistete das Gefühl, eine erste Prüfung durchgemacht und bestanden zu haben. Ein Bild stieg in ihm auf. Ein dürres, hu-manoides Wesen, das ihn aus handtellergroßen Augen anblickte, seine Lippen formten die Worte »Ich bin ein Faii .«
Der Gorthazi, dessen breite Schultern sich vor ihm mit jedem Schritt hoben und senkten, führte ihn nicht zu seiner Hinrichtung, dessen war sich Masquin sicher. Nicht, weil das Echsenwesen offenbar unbewaffnet war -wohin hätte Masquin fliehen können? - nein, schlichte Logik sprach dagegen. Wozu der ganze Aufwand, hätten sie ihn nur töten wollen? Die Truppen des Gelben Meisters hatten bereits milliardenfach bewiesen, dass sie nicht zögerten zu morden.
Der Gang machte eine Biegung, wurde höher und breiter. Hatte er bislang gerade genug Höhe besessen, um dem Gorthazi, der Masquin um drei oder vier Köpfe überragte, aufrechtes Stehen zu ermöglichen, stieg die
Decke nun an. Gleichzeitig wurde es heller. Masquin suchte vergeblich nach einzelnen Lichtquellen. Das Licht kam von allen Seiten, schien aus den Moosen zu dringen, die die Felswände überzogen.
War er in den Katakomben Virchos? Masquin hatte sie bislang als Legende abgetan, als populären Unfug auf einer Stufe mit den nicht verstummen wollenden Gerüchten, der eine oder andere Meister der Insel hätte den Krieg mit den Terranern vor 2500 Jahren überlebt und bereite einen Umsturz vor. Oder dem Volksglauben, der erklärte, Tefa sei die wahre Heimat des Menschengeschlechts und die Lemurer seien nur Siedler gewesen, die ihre Abstammung vergessen hätten und instinktiv in der Stunde der Gefahr in ihre Urheimat zurückgekehrt wären. Nur ein Trottel schenkte diesen Legenden Glauben. Lag nicht auf der Hand, dass sich in ihnen die Ängste und Hoffnungen der Menschen kristallisierten?
Aber jetzt, da kalte Tropfen von der Decke fielen und seinem Körper eisige Stiche versetzten ... Vircho bestand seit über 50.000 Jahren, eine lange Zeit, um zu vergessen, insbesondere in einer Gesellschaft, in der den größten Teil dieser Spanne über gegolten hatte, dass der Einzelne umso sicherer war, je weniger er wusste.
Ein Lichtpunkt riss Masquin aus seinen Gedanken. Er machte einen Schritt zur Seite, um an dem massiven Körper des Gorthazi vorbei zu sehen. Ja, dort vorn stand ein Rechteck aus Licht, das Ende des Tunnels.
Masquin hielt an.
Er spürte, wie ihm etwas in den Nacken stach. Seine Hand fuhr instinktiv hoch, um zu begrüßen, zu streicheln. Sie erreichte den Nacken - und fuhr ins Leere.
Tikil war nicht dort.
Er erinnerte sich. Er hatte ihn aus seinem Fleisch gerissen, ihn fortgeworfen.
Masquins Finger tasteten über die blutverkrusteten Wunden, die Tikils Krallen hinterlassen hatten. Erneut jagte ein Stich durch seinen Körper, aber diesmal wusste er, dass es ein Phantomschmerz war. Der Schatten eines Teils seiner selbst, den er unwiderruflich abgetrennt hatte.
»Willst du . umkehren?«
In dem weitläufigen Tunnel glichen die Worte des Gorthazi einem Donnern. Sie wurden immer wieder zurückgeworfen und drangen auf Masquin ein. Hörte er Enttäuschung aus ihnen heraus? Masquin versuchte den Gedanken zu vertreiben, sagte sich, dass das Echsenwesen zu fremdartig war, um derart menschliche Gefühle zu hegen, dass er seine eigenen Emotionen in die Worte des Gorthazi legte. Aber es half nichts.
Sollte er umkehren?
Masquin drehte sich um und starrte zurück. Das Licht der Moose verlor sich innerhalb weniger Dutzend Meter, unterlag der absoluten Schwärze.
Wohin sollte er umkehren? Selbst wenn er sich den Weg aus diesen Höhlen zu ertasten vermochte, dort draußen erwartete ihn ... nichts.
»Nein!«, brüllte er. »Ich gehe weiter!«
Der Gorthazi setzte seinen Weg fort. Masquin schloss dichter zu ihm auf. Mit jedem Schritt schien sein Puls sich zu beschleunigen. Das leuchtende Rechteck wurde größer, blendender. Masquin kniff die Augen zusammen, verschanzte sich hinter dem Rücken des Echsenwesens. Der Gor-thazi, bemerkte er jetzt, trug eine purpurne Uniform, wie Masquin sie noch nie zuvor
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