PR TB 046 Planet Unter Quarantäne
der Andachtskapelle
öffnete und ein Mann in Nachthemd und Schlafmütze in ihr
stand, erkannte Pharon, dass ihn seine Vorstellungskraft nicht
betrogen hatte.
Es war ein Mann mit überdurchschnittlichem Körperumfang.
Ein beredtes Zeugnis dafür, dass es sich um einen Schlemmer
schlimmster Sorte handelte. In dem fetten Gesicht mit den wabbelnden
Backen waren Nase und Augen kaum zu sehen, dafür bestand der
Mund aus zwei markanten Lippenwülsten.
Der Anblick dieses Predigers allein war ein Frevel!
In diesem Augenblick wünschte Pharon seinem Vorgänger
noch alles Böse - im nächsten hatte er nur Mitleid mit ihm.
Denn als die fettgepolsterten Äuglein zwischen dem Jäger
und Pharon hin und her wanderten, wurden sie groß und
kugelrund. Ein gurgelnder Laut kam über die wulstigen Lippen.
»Komm, Marasch!« kreischte der Jäger.
Pharons Vorgänger machte einige unsichere Schritte nach
vorne, indem er sich am Predigerpult stützte. Als er seinen Fuß
vom Podest auf den niedrigen Hallenboden setzte, gaben seine Knie
nach. Er taumelte und ließ sich in eine Bank fallen.
»Nein … nein«, röchelte er. Seine Augen hingen
jetzt mit ihrem Blick an dem Jäger, der sich ihm langsam
näherte.
»Komm, Marasch!« bellte der Jäger.
Marasch unternahm einen angestrengten Versuch, sich aus
der Bank zu erheben. Er fiel kraftlos zurück.
»Ich …«, sagte er, der Rest ging in einem Gurgeln
unter.
Jetzt erreichte ihn der Jäger und griff mit der
behandschuhten Rechten nach ihm.
»Nein!« schrie Marasch in höchster Verzweiflung
und entwand sich dem Griff. Gleich darauf sprang er auf die Beine und
rannte mit einer Behändigkeit davon, die ihm Pharon nicht
zugetraut hätte. Nach einigen Schritten blieb er allerdings nach
Atem ringend stehen. Er war nur zwei Schritte von Pharon entfernt.
Pharon wollte noch weiter zurückweichen, als er Marasch auf
sich zukommen sah. Das kurz aufwallende Mitleid war wieder
verschwunden. Sein Vorgänger hatte beide Hände zum Mund
erhoben, er zitterte mehr denn je. Ein erbärmlicher Anblick!
Er stammelte: »Ich … ich waltete gut meines Amtes, glauben
Sie mir! Sie übernehmen eine gute Gemeinde. Sie war verwahrlost
und sündig, als ich herkam. Jetzt sind die Menschen brav und
fromm. Sagen Sie es ihm! Ich habe die Bürger gewandelt. Oh, was
habe ich nicht alles getan. Ich habe die Herzen und Seelen der Leute
so lange geschmiedet, bis sie wertvolle Gottesinstrumente geworden
waren.« Marasch wandte den Kopf und sah den Jäger .
»Sagen Sie ihm das!« schrie er in höchster
Verzweiflung. »Sagen Sie es, bitte, bitte …«
Pharon war übel. Er fühlte sich so, als müsse ihm
jeden Augenblick das Bewusstsein schwinden. Wie durch einen
Nebelschleier sah er, dass Marasch laut schreiend auf die Straße
rannte. Der Jäger folgte ihm gemessenen Schrittes.
Pharon stand immer noch auf seinem Platz und sammelte sich. Er
hatte von seinen Lehrern nie erfahren, wie der Augenblick der
Amtsübernahme genau verlief. Sie hatten ihm gesagt, er solle
sich in der ihm zugeteilten Stadt bei den Jägern
melden; das weitere würden sie erledigen. Trotz seiner
nebulosen Vorstellung hatte Pharon sich aber doch gedacht, dass
dieser Augenblick mit einem feierlichen Akt verbunden wäre. Aber
er verspürte nichts als Übelkeit.
Er könne noch nicht einmal einen klaren Gedanken fassen.
Warum hatte Marasch vor den Jägern solche Angst? Befürchtete
er, sie könnten ihm etwas zuleide tun? Sicher war er ein Sünder,
das hatte auch Pharon auf den ersten Blick erkannt. Aber trotzdem
konnte sich Pharon nicht vorstellen, was sein Vorgänger von den
Jägern zu befürchten hatte. Welches Schicksal erwartete
ihn?
Pharon hatte selbst schon das unbestimmte Angstgefühl beim
Anblick der vermummten Jäger verspürt. Es war eine
natürliche menschliche Reaktion, über die man allerdings
durch logisches Überlegen hinwegkommen konnte. Die Jäger
standen Zete am nächsten, sie waren mit ihm so nahe verwandt,
dass sie göttliche Wesenszüge und Zetes Antlitz besaßen.
Die gemeinen Bürger aber durften Gott nicht schauen. Darum waren
auch die Jäger vermummt. Das Unheimliche, das sie deshalb
zwangsläufig ausstrahlten, durfte bei einem aufgeklärten
Menschen wie Marasch doch nicht eine solche Panikreaktion
hervorrufen.
Es musste also etwas Bestimmtes geben, vor dem er sich fürchtete.
Aber das war nicht Pharons Sache. Er war nach Orgedon beordert
worden, um die Bürger auf den Pilgergang vorzubereiten, ob sich
nun die Himmelsschleusen
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