PR TB 144 Die Seelenlosen
gelöscht.
Schließlich war Kerrileinen der Routinefragen überdrüssig,
es war offensichtlich, daß sie ihn nicht zum Ziel führen
würden. Er versuchte es mit unorthodoxen Fragen.
Dabei wurde er von Sominth unterbrochen, der aus dem Hangar
meldete, daß die Space-Jet von allen Verbindungen zur Station
gelöst worden war.
„Geändert hat sich trotz allem nichts", fügte
der Xenologe hinzu.
„Das habe ich befürchtet." Kerrileinen fühlte
die Blicke Kants auf sich ruhen. „Bleiben Sie vorläufig im
Hangar."
Danach fuhr er mit der Befragung der Positronik fort.
„Warum fragen Sie sie nicht, was ihr fehlt?" schlug
Kant nach einiger Zeit ungeduldig vor. „Sie haben sie jetzt mit
den unmöglichsten Dingen konfrontiert, aber das eigentliche
Problem klammern Sie aus."
„Sie würde nicht darauf reagieren", prophezeite
Kerrileinen achselzuckend. „Welche Fehler sollte sie objektiv
an sich feststellen können, wenn sie die beiden wichtigen
Komplexe ,vergessen' hat?"
Kant erhielt Hilfestellung von der Psychologin.
„Versuche es trotzdem, Commander!"
Kerrileinen seufzte.
Er drehte sich im Sitz herum.
„Was fehlt dir eigentlich, Nessie?" fragte er ironisch.
Natürlich erhielt er keine Antwort. Die Positronik kannte ihr
Problem nicht, sie war nicht einmal in der Lage, es zu registrieren.
Bei seinem nächsten Blick auf die Kontrollen machte
Kerrileinen eine erstaunliche Feststellung:
Alle von Nessie kontrollierten Uhren an Bord von KYLE-Station
gingen schneller.
Kerrileinen rief Sominth in die Zentrale zurück, denn er war
sicher, daß sie nach dieser Entdeckung endlich einen
Anhaltspunkt gefunden hatten, über den sie gemeinsam diskutieren
mußten.
Nessies Uhren hatten einen Vorlauf von siebeneinhalb Stunden,
während die Armbandzeitmesser der Besatzung noch den 14. April
3007 anzeigten, war Nessie bereits am 15. April angelangt.
„Zunächst einmal können wir feststellen, daß
es keinen vergleichbaren Zwischenfall gibt", erläuterte
Kerrileinen. Er hatte das wohltuende Gefühl, die Dinge wieder in
den Griff zu bekommen. „Es kann sich auch nicht um
Zeitdilatation handeln, denn dann wären alle Borduhren davon
betroffen worden, auch die, die wir am Körper tragen."
Prue fragte: „Glaubst du, daß der Ausfall der
Hauptanlagen überhaupt in einem Zusammenhang mit diesem Problem
steht?"
„Wir müssen es zunächst einmal annehmen",
nickte der Kommandant. „Für Nessie gliedert sich der
Begriff Zeit in mathematisch erfaßbare Werte auf, sie hat kein
Zeitgefühl wie wir Menschen."
Er sah seine Mitarbeiter der Reihe nach an: Sominth wirkte
verschüchtert, aber interessiert, Prue aufmerksam und nervös
und Kant verbissen.
„Zeit im engsten Sinne des Wortes existiert nicht",
fuhr Kerrileinen fort. „Lediglich die Tatsache, daß wir
physikalische Vorgänge bewußt erleben, macht uns glauben,
daß Zeit verstreicht. Nessies positronisches Bewußtsein
besitzt kein Zeitgefühl. Für sie gibt es nur berechenbare
Werte. Wir müssen also davon ausgehen, daß sie die bisher
gültigen Werte gegen neue ausgetauscht hat."
„Aber das würde sie nur tun, wenn sie die alten Werte
als falsch erkannt hätte!" warf Prudence ein. „Ihr
Zeitwert beruht auf dem Lichtjahr als absolute Bemessungsgrundlage.
Das kann sie nicht ändern."
„Objektiv nicht!" gab Kerrileinen zu.
Sominth bekam große Augen. „Objektiv nicht!"
wiederholte er. „Aber gefühlsmäßig. Das wollten
Sie doch ausdrücken."
Kerrileinen sah auf den Boden.
„Als ich klein war, besaßen wir einen Hund",
erinnerte er sich. „Ein alter Bursche von sechzehn Jahren. Als
er starb, war ich untröstlich. Ich wollte nicht einsehen, daß
ein Hund mit sechzehn Jahren alt sein könnte. Mein Vater sagte
mir damals, daß sechzehn Hundejahre mehr als einhundert
Menschenjahren entsprächen."
„Weil der Hund es so empfindet?" fragte Kant lächelnd.
„Wir wissen nicht, was Hunde empfinden", erwiderte
Kerrileinen. „Jedenfalls nicht in dieser Beziehung. Aber es
gibt Wesen mit unterschiedlichen Zeitabläufen und
Zeitempfinden."
„Aber Nessie ist kein Hund", versuchte Sominth zu
scherzen.
„Ihr wißt nicht, worauf der Commander hinauswill",
sagte Prue.
„Ich glaube, daß Nessie durch irgendwelche Umstände
plötzlich zu einem eigenen, relativen Zeitbewußtsein
gekommen ist", sagte Kerrileinen.
Eine Zeitlang herrschte Schweigen. Kerrileinen wußte, daß
er die drei anderen provoziert, jedoch nicht überzeugt hatte.
„Der Gedanke ist es wert, daß wir
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