PR TB 165 Nomaden Des Meeres
Asyrta-Maraye
herauf, erschauerte in der morgendlichen Kuhle, sah sich um und
sprang dann zu Cheper auf das Deck. Jedesmal, wenn er sie anblickte,
durchfuhr es ihn wie der Stich des Skorpions: sie war die schönste
Frau, die er jemals gesehen hatte.
»Ich sehe das Segel. Ein Schiff von Keftiu, Cheper?«
Der Steuermann zog seine buschigen Brauen hoch, blickte irritiert in
das eigene Segel, das sich zu bewegen begann, dann erklärte er
gelassen:
»So scheint es. Wenn sie gegen Nachtende die Leinen
losgeworfen haben, können sie von einem Hafen der Nordseite
gekommen sein. Ein breites Schiff, Herrin, vielleicht keine Piraten.«
»Wind? Schon jetzt?«
Zweiunddreißig Tage und Nächte lang waren sie von
Busiris im Delta bis hierher gesegelt und gerudert. Asyrta-Maraye
hatte in dieser Zeit fast alles gelernt, was er, Cheper, wußte.
»Nicht sehr viel, Herrin. Er begünstigt das andere
Schiff.«
»Die Glut ist bereit, das Pech und die Waffen?«
»Wie immer. Wir haben rudern gelernt, aber das Kämpfen
nicht verlernt.«
Die Herrin trug eine Jacke aus Leder, mit golddurchwirktem
Wollstoff ausgeschlagen. Ihr langes schwarzes Haar lag über dem
hochgestellten Kragen und glänzte in der Sonne. Das
entgegenkommende Schiff schwenkte scharf ein und jagte, von gutem
Wind getrieben, auf die LOB DER PHARAO zu und ging auf Rammkurs. Im
gleichen Augenblick begann das tauschwere Segel des ägyptischen
Schiffes zu flattern und zu knattern. Cheper brüllte einen
langen
Befehl. Vier Riemen wurden im Vorderschiff eingezogen, sechs oder
sieben Männer kamen nacheinander auf Deck und blieben wartend
stehen.
»Ich bringe das Schiff in den Wind. Wir kreuzen und
passieren sie steuerbords. Pfeile und Bögen, Pech und Glutkörbe
bereitstellen. Für alle Fälle«, schrie er laut. Die
Männer hoben die Arme und begannen an die Plätze zu rennen.
Das entgegenkommende Schiff hatte den Wind im Rücken, und die
LOB DES PHARAO war unfähig, scharf zu kreuzen. Aber als sich
jetzt das Segel füllte, schwer nach Steuerbord umlegte,
erkannten die Ägypter, daß sie dem Gegner ausweichen
konnten. Der andere Kapitän war von dem Manöver verwirrt,
aber er änderte augenblicklich den Kurs.
Cheper fragte in unerschütterlicher Ruhe:
»Meinst du, Herrin, daß wir einem Kampf ausweichen
können?«
»Ich weiß es nicht, Steuermann. Es sieht nach Kampf
aus. Stellen wir uns!«
Das ägyptische Schiff, mehr als siebzig Ellen lang, schnitt
jetzt fast im rechten Winkel zu seiner bisherigen Richtung durch die
Wellen. Tauwerk und Holzverstrebungen knarrten und ächzten,
Gischtflocken sprühten auf das überhöhte Vorderdeck.
Mit einem Satz schnellte sich Asyrta-Maraye hinunter und verschwand
im Schiff. Einige Befehle des Steuermanns bewirkten, daß
weitere Ruderer heraufkamen, die Bögen spannten und die Pfeile
bereitstellten. Gluttöpfe wurden gebracht, die Asche
weggeblasen, die Flammen entfacht. Asyrta band ihr Haar hoch, setzte
sich den ledernen Helm auf und griff nach ihrem langen Bogen. Als sie
über das Deck nach vorn rannte, sah sie die Männer bereits
an ihren Plätzen. Noch drei Bogenschußweiten war das
minoische Schiff entfernt, als Cheper wieder eine Serie von Flüchen
und Kommandos brüllte.
Die Ruderer setzten die langen Riemen ein. Die beiden Steuerruder
wurden ächzend bewegt. Leinen flogen los, das riesige Segel
schwang herum, flatterte wild und unkontrolliert, dann fing sich der
Wind wieder, und abermals machte die LOB DES PHARAO eine scharfe
Wende. Fast parallel zu ihrem bisherigen Kurs lief sie jetzt, der
Wind packte das Schiff und schob es stampfend und krängend
wieder auf die Küste zu.
Der entgegenkommende Segler hatte auf einen Punkt zugesteuert, den
die LOB DES PHARAO dann erreicht hätte. Jetzt sah es so aus, als
ob der vermutliche Kaperer an Steuerbord an dem Ägypter
vorbeistoßen würde. Asyrta-Maraye stand hochaufgerichtet
im Bug, zwischen den hölzernen Säulen mit den vergoldeten
Verzierungen. Ihre helle Stimme übertönte das Klatschen der
Wellen. Sie rief in minoischer Sprache:
»Kapitän! Willst du einen Kampf? Wir haben einen
besseren Vorschlag!«
Gleichzeitig bevölkerte sich das Deck des LOB DES PHARAO mit
mehr als dreißig Bogenschützen. Sie hatten lange Pfeile
auf den Sehnen. Die Spitzen der Geschosse bestanden aus Werg, Erdpech
und Tierfett. Ein Feuerhagel würde das gegnerische Schiff
überschütten und zuerst das Segel in Brand setzen.
»Ihr kommt aus dem Nilland?«
Der Kapitän, ein breitschultriger Mann mit
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