PR TB 201 Der Verräter Mutant
Vanessa
Carmichael zwar noch relativ jung war - sie war vierunddreißig
-, aber im übrigen eines der reizlosesten Geschöpfe, die
Seccar jemals gesehen hatte.
Vanessa Carmichael war von durchschnittlicher Größe,
durchschnittlich gewachsen, von durchschnittlicher blonder Haarfarbe
und ebenso durchschnittlichem Braun der Augen. Sie trug keine
auffälligen Hüte, keine modischen Kleider. Sie schminkte
sich betont unauffällig, rauchte, trank und fluchte nicht. Ihr
Gesicht zeigte einen Ausdruck großer Langeweile.
Vanessa Carmichael hätte es fertiggebracht, in einer
Menschenmenge von drei Personen spurlos zu verschwinden. Daß
sie eine Frau war, ging nur aus ihren Personalpapieren hervor.
Um so unbegreiflicher erschien es Hardan Seccar, daß sich
ein Mann wie Varn Hister ausgerechnet für dieses farbloseste
aller späten Mädchen interessierte, das im Umkreis von zehn
Lichtjahren auf zutreiben war. Hister war ein Mann von Geschmack,
Intelligenz und Geld - während nach Seccars boshafter Meinung
ein Mann schon entsetzlich geschmacklos, dumm und unvermögend
sein mußte, um sich überhaupt für Vanessa Carmichael
zu interessieren.
„Hister wird wissen, was er will“, antwortete Amahura
nach reiflichem Nachdenken. Der grazile Asiate war noch einen Kopf
kleiner als Seccar, sehr schweigsam und wurde ebenfalls wegen
versuchten Mordes gesucht. Seccar hielt ihn für ebenso
raffiniert wie grausam, es war besser, sich nicht mit ihm anzulegen.
Seccar schielte zum Himmel hinauf.
Die ganze Natur schrie gleichsam nach Bier. Es war brennend heiß,
und obendrein wurde Seccar von Langeweile geplagt. Man saß in
einem Straßencafe, und attraktive Kellnerinnen brachten den
Gästen ebenso attraktive Biergläser. Seccar wußte,
daß in der Brusttasche seiner neuen Jacke eine wohlgefüllte
Brieftasche steckte. Hister hatte sich wahrhaftig nicht lumpen
lassen. Hardan Seccar wußte aber auch, daß er absolutes
Alkoholverbot hatte. Sollte er sich beim Trinken erwischen lassen,
würde es der aristokratische Marius Daponte übernehmen,
Seccar für diese Pflichtvergessenheit zu züchtigen. Seccar
hatte die erste Lektion noch nicht vergessen, also beherrschte er
sich.
Gelangweilt löffelte er in seinem Eis, das mit
Killander-Früchten von Ferrol aromatisiert war. Seit es
interstellare Handelsbeziehungen gab, lagen in den Gemüse- und
Obstabteilungen der Warenhäuser Früchte zum Kauf, von denen
die Menschen vor wenigen Jahren noch nie etwas gehört hatten.
Die Killander-Früchte gehörten dazu, zusammen mit anderen
exotischen Geschmacksrichtungen machten sie es den Kindern noch
schwerer als bisher, einen Etat von einigen Soli in einen Höchstgenuß
an Speiseeis zu verwandeln.
Seccar fand das Eis fade, zudem störte ihn das satte Violett
des Eises. Er aß es nicht gerne, aber irgend etwas mußte
man in diesen Cafes bestellen, und in den letzten Tagen hatte Seccar
auf seinen Beobachtungszügen so viel Tee und Kaffee getrunken,
daß sein Kreislauf fast zusammengebrochen war.
„Sie kommt“, stellte Seccar fest, zufrieden damit, daß
endlich etwas geschah. Er warf ein paar Soli auf den Tisch und stand
auf.
Vanessa Carmichael hatte nur wenig eingekauft. Sie schien eine
ausgesprochen bedürfnislose Person zu sein. Seccar fand das ganz
natürlich - der morgendliche Blick in den Spiegel mußte
eine Frau wie diese förmlich zur Anspruchslosigkeit und
Bescheidenheit erziehen.
„Rennen Sie nicht so“, murmelte Amahura. „Sie
wird uns schon nicht weglaufen.“
Ein Gleiter kam in langsamer Fahrt und nahm die beiden Männer
auf. In sicherem Abstand folgten sie der Frau.
Hardan Seccar fand das alles nicht nur entsetzlich langweilig,
sondern auch im höchsten Maße albern. Niemand würde
das Verschwinden der Frau bemerken, selbst wenn man sie auf offener
Straße entführt hätte, dachte Seccar boshaft.
„Ich habe Nachrichten von Hister“, wußte der
Fahrer des Gleiters zu berichten. „Wir schlagen noch heute
abend zu.“
„Endlich“, murmelte Seccar. „Das Warten wurde ja
unerträglich. Wann und wo werden wir zuschlagen?“
Der Fahrer drehte den Kopf ein wenig zur Seite, um Seccar ansehen
zu können. Er machte ein energisches Gesicht.
„Sie werden nicht dabeisein, Seccar“, sagte Olof
Knudsson. „Sie werden heute nachmittag ein Raumschiff
übernehmen.“
Die seltsame Dehnung, die er bei dem Wort übernehmen
verwendete, sagte für Seccar genug aus. Auch dieser Teilaspekt
der Angelegenheit war faul.
Seccar fragte sich, wie Hister
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