PR TB 206 Die Energiefalle
bis an den Kehlkopfknorpel vollaufen zu
lassen, dabei unablässig zu rauchen, sich den Bauch
vollzuschlagen -und es hatte nicht viel gefehlt, und er hätte
sogar bei einer ausnehmend hübschen Touristin Erfolg gehabt, die
sich mit wohligem Schaudern ein paar spannende Stunden in der
Halbwelt von Salita gegönnt hatte. Jetzt schlief der König
der Treppe seinen Rausch aus.
Ganclar überlegte, ob er dem Schläfer eine feuchte
Morgenüberraschung bereiten sollte. Niemand wußte, wie
lange es her war, daß Giorgio letztmalig mit Wasser in
Berührung gekommen war.
Ganclar grinste und stieg zum Brunnen hinab.
Auf halbem Wege stockte er. Etwas lag im Brunnen, ein Körper.
Ganclar spürte, wie sein Herzschlag sich beschleunigte. Es war
ein menschlicher Körper.
Ganclar sah sich um. Niemand zu sehen. Sie waren allein, er, der
Leichnam und auf der Treppe der friedlich schnarchende Giorgio.
Ganclar holte tief Luft.
Alles in ihm schrie danach, diesen Platz schnellstens zu
verlassen. Er konnte sich nur Ärger einhandeln, wenn er sich mit
dieser Angelegenheit beschäftigte. Wenn er jetzt hinunterging
und den Körper im Wasser anfaßte und herumdrehte, das das
Gesicht nach oben kam, dann würde er den Toten auch bei der
Polizei melden müssen. Und sie würden ihn fragen, was er
auf Salita machte, und mit wem er die letzte Zeit verbracht hatte und
so weiter und so fort. Er würde Vat und die anderen in größte
Schwierigkeiten bringen.
Ganclar stieg langsam, mit hämmerndem Herzen die Stufen
hinab. Niemals war ihm die Treppe so endlos lang erschienen.
Das Plätschern des Brunnens dröhnte in seinen Ohren, als
er am Platz angekommen war. Jetzt war der Körper deutlich zu
erkennen. Ein Mensch, ein Mann.
Der Brunnen bestand aus einem langgestreckten Oval, das in den
Boden eingelassen worden war, umgeben von einer kniehohen Begrenzung.
Aus diesem Oval erhob sich die stilisierte Gestalt eines Nachens, aus
dessen Bug und Heck das Wasser floß. Die Ähnlichkeit mit
einer Sauciere drängte sich geradezu auf.
In dem Nachen lag der Tote. Er trug dunkle Kleidung, die sich voll
Wasser gesogen hatte. Die Haare trieben auf dem Wasser, in dem der
Kopf bis zu den Ohren eintauchte.
Ganclar würgte seine Ekelgefühle herunter. Er spannte
die Kamera und machte ein paar Aufnahmen, dann stellte er die Kamera
beiseite. Er griff nach dem Toten, der leicht und ohne Mühe im
Wasser zu bewegen war. Ganclar bekam ein Bein zu fassen, nackte,
kalte, nasse Haut, ein widerliches Gefühl.
Plötzlich wußte Ganclar, wer der Tote war. Er wußte
es ganz genau, es konnte gar keinen Zweifel geben. Er griff,
plötzlich eiskalt und ruhig geworden, nach den Beinen des Toten
und drehte ihn im Wasser herum.
Er war es.
Der hagere Fremde, den Ganclar am Kontrollturm gesehen hatte, den
er auf dem Platz gesehen hatte, den er bei der Auktion gesehen hatte
und den er hier ein letztes Mal sah, tot, ein Messer im Brustkorb.
Ganclar sah um sich. Keine Polizei war zu sehen. Es war noch zu
früh. Und Giorgio schlief tief und fest.
Ganclar griff wieder nach seiner Kamera. Er nahm das Gesicht des
Toten auf, obwohl sich ihm dabei fast der Magen umdrehte. Er
fotografierte auch aus möglichst geringer Entfernung den Griff
des Dolches, der in der Brust des Toten stak. Ganclar glaubte den
Dolch wiederzuerkennen, auch er war gestern unter den Hammer
gekommen.
Ganclar hätte den Dolch gern aus allernächster Nähe
betrachtet, aber dazu hätte er ihn aus der Brust des Toten
ziehen müssen. Fingerabdrücke hatte das fließende
Wasser wahrscheinlich längst weggespült, das konnte Ganclar
nicht hindern. Er hätte aber mit der einen Hand das Messer
ergreifen und mit der anderen den Körper des Toten wegdrücken
müssen, um an das Messer zu kommen, und der Gedanke allein
erschien Ganclar grauenvoll.
Er sah zu, daß er davonkam, bevor die Polizei ihn fand.
Polizei!
Ganclar zuckte zusammen. Er sah nach oben, zu der Kamera hinauf,
die den Platz beobachtete. Sie war nicht auf den Brunnen gerichtet,
sondern erfaßte den oberen Teil der Treppe, wo tagsüber
die fliegenden Händler und die Leute von der Treppe ihre
Verkaufsstände hatten.
Hastig entfernte sich Ganclar von dem Brunnen. Es war denkbar, daß
die Kamera über Nacht nicht aufzeichnete, sondern erst bei
Dienstantritt der Morgenschicht wieder eingeschaltet wurde. Das hieß,
daß in jedem Augenblick der elektronische Spion mit seiner
Arbeit anfangen konnte. Wenn man Ganclar dabei ertappt hätte,
wie er das Messer aus der
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