PR TB 230 Die Träumer Von Naphoora
schrie
Gueadd. „Ich begreife nicht, wie es dazu kommen konnte. Ich
begreife es einfach nicht. Woher hat dein Sohn das nur?"
Auf diese Frage wußte Akhisars Mutter keine Antwort. Akhisar
warf ihr einen hilfeheischenden Blick zu, aber die Art, wie sie
seinem Blick auswich, verriet, auf wessen Seite sie stand. Akhisar
schloß die Augen. Kalt faßte die innere Einsamkeit nach
ihm, und Akhisar wußte, daß er diesen Schmerz lange würde
erleiden müssen.
„Nur Ärger hat man deinetwegen", schimpfte Gueadd
weiter. „Wer gibt schon den Familienmitgliedern eines Räubers
Arbeit und Brot? Hast du daran gedacht, als du losgezogen bist, he?
Hast du an deine Familie gedacht, als du meuchlerisch über die
Angestellten des Kaufhauses hergefallen bist? Gib Antwort, wenn ich
mit dir rede!"
Diesmal landete der Schlag auf der rechten Gesichtshälfte.
Akhisar taumelte.
„Sie können euch nichts wollen" sagte er stockend.
„Ihr habt doch nichts damit zu tun, man kann euch doch nicht -
es wäre Brauch ..."
Ein heftiger Schlag verschloß ihm den Mund.
„Es ist nicht zu glauben", brüllte Gueadd. „Bricht
Bräuche, wie es ihm paßt, stürzt seine Familie ins
Elend und wagt es noch, hier derart herumzuschwatzen. Was verstehst
du schon davon, eh?"
Akhisar sah seinen Vater an. Für eine kurze Zeitspanne
durchzuckte ihn der heftige Impuls zurückzuschlagen, Demütigung
mit Demütigung zu begleichen, aber dann siegte die Erziehung,
die ihm Widerstand den Eltern gegenüber unmöglich machte.
„Wie stellst du dir vor, was aus dir werden soll?"
fragte Akhisars Mutter. „Womit haben wir das verdient? Hast du
es nicht gut gehabt bei uns? Jeden Wunsch ..."
„Halt den Mund!" schrie Akhisar, außer sich.
Diese Sprüche kannte er zur Genüge, und in dieser Lage war
die Falschheit darin völlig unerträglich.
Gueadd stand starr.
„Du wagst es, deiner Mutter so über den Mund zu
fahren?"
„Laßt mich in Ruhe!" sagte Akhisar zwischen
zusammengepreßten Kiefern. „Ihr hört mir ja nicht
einmal zu."
„Ach, jetzt kommt die Tirade vom mißverstandenen Kind?
Darauf habe ich nur gewartet. Erst bringt er die Familie an den Rand
des Ruins, und dann beschwert er sich noch."
Es hatte keinen Sinn, Akhisar begriff es langsam, so sehr es auch
schmerzte. Beide hörten ihm nicht zu, redeten nur von sich
selbst, und daß sie seine Einwände nicht einmal ernst
nahmen, verstand sich fast schon von selbst.
„Es reicht mir jetzt!" schrie Gueadd, gelb vor Zorn.
„Du verläßt mein Haus auf der Stelle. Sag nicht, daß
du die Brauchgrenze noch nicht erreicht hast - die paar Wochen machen
da nicht viel. Du wirst erleben, was es heißt, für sich
selbst zu sorgen - aus dem Haus mit dir, oder ich breche dir ..."
Akhisar sah seinen Vater an. Seine Stimme war kalt.
„Du wirst es nicht wagen, nach mir zu schlagen", sagte
Akhisar mit zusammengekniffenen Augen. „Nicht mehr - diese Zeit
ist vorbei."
Er hörte nicht länger zu. Akhisar verließ den
Raum. Traurig, am ganzen Körper zitternd, stieg er hinauf in
seine Zimmer.
Maathen erwartete ihn.
„Ich habe alles gehört", sagte sie leise. Ihre
Augen sahen Akhisar warm an, aber der war noch so beschäftigt,
daß er es kaum wahrnahm. Er knallte die Tür hinter sich
zu, lehnte sich mit dem Rücken dagegen.
Maathen sah ihm ins Gesicht.
„Wenn du glaubst, bei mir Eindruck schinden zu können,
wenn du deine Tränen hinunterwürgst, irrst du dich. Ich
halte Helaghs, die ihre Gefühle herunterschlucken, für
Narren - nicht die, die Tränen zeigen, wenn sie traurig sind."
Akhisar sah das Mädchen an. Seine Augen füllten sich mit
Tränen, sie liefen ihm in den Pelz. Er schloß die Augen,
er wollte Maathen nicht sehen, aber er streckte die Hand nach ihr
aus, faßte ihre Rechte und hielt sie fest. Minutenlang standen
die beiden reglos.
„Was willst du jetzt tun?" fragte Maathen, sobald
Akhisar die Augen wieder geöffnet hatte. „Ich will dich
nicht drängen, aber du weißt, daß dich die Büttel
anhand der Aufzeichnung wiedererkennen werden -auch die, die du in
der Gasse niedergeschossen hast. Sie werden bald eintreffen, und dann
wehe dir."
Akhisar sah sich um, zuckte mit den Schultern.
„Wo soll ich hin?" fragte er hilflos. „Ich hab
nichts -alles, was ich besitze, gehört meinen Eltern. Ich kann
nichts, beherrsche kein Gewerbe, gehöre zu keiner Zukunft ..."
Der Versprecher paßte, aber er fiel ihm gar nicht auf.
Maathen lächelte zurückhaltend.
„Komm mit mir", sagte sie sanft.
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