PR TB 242 Herr Der Hundert Schlachten
Bauern, der seine
Felder bearbeitet. Aber die Strömungen, Beziehungen, Freund- und
Feindschaften, all jene menschlichen und verständlichen
Strömungen innerhalb der Heerscharen von fünfzig, sechzig
oder mehr Tausendschaften, eingeschlossen die Freunde, Gruppen und
Kampfgefährten Alexanders, davon haben wir nur wenig Ahnung.
War Bagoas wirklich einer der Lustknaben Alexanders? Erstreckte
sich seine Leidenschaft auch auf Thais? Welche Rolle spielte Kleitos
wirklich? Oder schlief er mit Barsine? Oder mit allen? Und mit wem,
männlich oder weiblich, überdies?
Ich winkte einem Diener, nachdem ich von mindestens dreißig
verschiedenen Speisen gekostet hatte. Jede davon war wohlschmeckend
und sättigend gewesen. Man brachte mir ein dampfendes, heißes
Tuch, das nach Weihrauch roch. Ich säuberte mich und lehnte mich
wieder zurück.
Als ich den Pökel hob, erreichte eine Stimme aus dem Dunkel
jenseits der Säulen mein Ohr.
»Atalantos? Toxarchos?«
Langsam drehte ich mich herum. Aus dem Schatten kam Parmenion, der
wichtigste Feldherr Alexanders. Als ich aufstehen wollte, bedeutete
er mir in der ruhigen Überlegenheit einer selbständigen
Persönlichkeit, ich solle sitzen bleiben. Er schnippte mit den
Fingern, und zwei Sklaven stellten neben mich einen reichverzierten
persischen Sessel, in dem sich die breitschultrige Gestalt des
Reiterführers ausnahm, als würde sie das zierliche Holz
zersprengen.
»Deine Augen, Toxarchos, sind überall. Bist du sicher,
daß du das wirklich Wichtige siehst?« fragte er. Ich
schwieg und erinnerte mich. Seine kühlen, prüfenden Blicke
hatte ich nicht vergessen, mit denen er Augenblicke lang zusah, wie
Beile, Speere, Schleudersteine und Pfeile von dem unsichtbaren
Schutzschirm während der wenigen Kampfhandlungen abgeprallt
waren, in die wir verwickelt gewesen waren.
»Was ist wichtig?« fragte ich. »Das Treiben um
den Sohn des Perseus mit dem Kranz um die Schläfen? Oder zu
sehen, wie sich die Menge derer bewegt, die Befehle ausführt?
Oder soll ich den Prunk des Darius bewundern? Sage mir, was wichtig
ist.«
Vermutlich war Parmenion derjenige Makedone, dem Alexander
indirekt alle seine Siege verdankte. An seiner echten Freundschaft zu
Alexander gab es nicht den geringsten Zweifel. Dennoch machte er den
Eindruck eines Mannes, der zutiefst nachdenklich geworden war.
»Wichtig ist«, sagte er, nachdem er meine Gefährtin
und meinen tapfersten
und wildesten Kämpfer begrüßt hatte, »ob
Alexander unserem Rat gehorcht.«
»Ich kann mich nicht entsinnen«, sagte ich sofort,
»daß er jemals meinen Rat gewünscht hätte.
Sucht er deinen Rat?«
Er war mir schon beim ersten Kennenlernen sympathisch gewesen,
dieser unerschrockene Barbar. Hätte Darius nur eine Handvoll
solcher Männer gehabt, würde er Alexanders Heer gejagt
haben wie eine Herde Gazellen.
»Er erhält ihn, und mitunter hört er auch auf ihn.
Wirst du mir helfen, wenn ich ihn vor den Einflüsterungen dieser
athenischen Hure bewahren will?«
»Was flüstert sie?« fragte ich. Gespannt hörten
Charis und Atagenes zu. Forderte er uns auf, Alexander zu verraten?
Kaum vorstellbar! Parmenion machte eine unbestimmte Bewegung mit der
Rechten und verschüttete viel Wein dabei.
»Sie will, daß er den Palast niederbrennt als Rache
dafür, daß die Perser den Tempel ihrer Stadt, Athen,
anzündeten.«
Ich zuckte die Schultern und überlegte meine Antwort sehr
genau. Dann erwiderte ich:
»Die Perser anerkennen Alexander als ihren neuen Herrscher.
Alles Wertvolle ist aus dem Palast entfernt worden. Wenn alles
brennt, wird man sagen, daß der neue Herrscher - noch lebt
Darius! - wahnsinnig geworden ist. Was das persische Heer nicht
geschafft hat, kann dieses Gerücht bewirken. Und ein König,
ein Sohn der Götter, der auf Wunsch einer Dirne Paläste
niederbrennt. ich weiß, was ich von einem solchen Feldherrn zu
halten habe.«
»Noch ist er unentschieden.«, fing Parmenion an. Sein
Gesicht war von Sorgen und Problemen gezeichnet und wirkte in diesem
Licht wie altes Leder.
»Aber wenn er noch einige Pokale Wein getrunken hat, wird er
unbeherrscht und deinen Einflüsterungen nicht mehr zugänglich
sein!« bemerkte Charis mit ungewohnter Schärfe. Schweigend
nickte der Feldherr, dann murmelte er:
»Du sprichst kluge Worte, Charis.«
»Ich bin die Freundin eines klugen Mannes«, gab sie
zurück. Parmenion hob die Hand, um einen Mann zu begrüßen,
der sich unserem Tisch genähert hatte. Es war der Kreter
Nearchos, ebenfalls
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