PR2604-Die Stunde der Auguren
dass die Kuppel von Gleitern wie von Raumschiffen durchflogen werden konnte, als sei sie nicht mehr vorhanden.
»Realitätsverblassung«, taufte von Strattkowitz das Phänomen.
»Danke für den nächsten Eintrag ins Wörterbuch der Katastrophe«, grummelte Bull.
»Wir schreiben gerade ein ganz neues Kapitel darin.« Von Strattkowitz grinste schief.
Via Talanis gab es also keine Verbindung mehr zu den vier Welten im Stardust-System oder zu Markanu in TALIN ANTHURESTA.
Und keine Hilfe von dort!, durchfuhr es Bull.
Auch der Polyport-Hof GALILEO im Saturn-Orbit hatte seine Anbindung an das Polyport-Netz verloren. Die Transferkamine waren erloschen. Selbst der pure Polyport-Funk war zusammengebrochen.
Dass auch der Transit kollabiert war – und zwar exakt um 18.31 Uhr des vergangenen Tages –, war nur eine von vielen Schreckensmeldungen. Die MOTRANS-Plattform SOLSYSTEM, fünf Millionen Kilometer vom Mars entfernt auf dessen Umlaufbahn stationiert, war explodiert! Und damit auch die Situationstransmitter-Verbindung in den Sektor Mastak erloschen.
»Abgeschnitten von allem und wehrlos«, resümierte von Strattkowitz.
»Wie wehrlos genau?«, wollte Bull wissen. »Lässt sich wenigstens der Kristallschirm noch aktivieren?«
»Nein«, sagte Vashari Ollaron. Täuschte Bull sich etwa, oder war ihr sonst so dunkler Teint etwas blasser geworden? »Die Hypertron-Sonnenzapfung funktioniert zwar noch – die Betonung liegt auf noch –, ebenso die Emission multifrequenter hyperenergetischer Anregungsimpulse, aber die Heliopause reagiert nicht mehr.«
»Wie deuten wir das?«, fragte Bull.
Von Strattkowitz antwortete: »Es sieht ganz so aus, als gebe es hier in dieser ... raumzeitlichen Anomalie ... nahezu kein interstellares Medium, welches zu einem Staudruck des Sonnenwindes und somit zur Stoßfront der Heliopause führen könnte. Also: kein Kristallschirm, und somit ziemlich wehrlos.«
Für einen Moment schwiegen alle Beteiligten.
Ybarri räusperte sich. »Wir sollten endlich eine Pressekonferenz ansetzen.«
»Nachrichten vom Ende der Welt«, sagte Bull.
»Natürlich erwartet man eine Pressekonferenz«, sagte Leccore und mahnte: »Aber wir wollen keine Panik auslösen.«
Bull lachte bitter auf. »Da sind andere eh besser als wir.«
»Du bist in derselben Situation wie alle Terraner. Bist du in Panik?«, fragte Ybarri den Chef des Terranischen Liga-Dienstes.
»Nein. Aber es sitzen auch nicht alle so wie wir wohlverwahrt in Stahlorchideen. Was werden wir den Leuten sagen?«, fragte Attilar Leccore.
»Alles«, sagte Bull. »Was denn sonst?«
Weltendiebe
Routh wusste nicht, wohin. Aber es war ihm unmöglich, in seiner Wohnung zu bleiben. Er befahl dem Servo, jedes Lebenszeichen von Anicee sofort an ihn – oder Puc – weiterzuleiten. Dann verließ er die Wohnung.
Als er auf die Straße trat, war sein erstes Gefühl schiere Empörung. Er fühlte sich bestohlen, betrogen, und wie alle Betrogenen empfand er die Scham des Opfers. Das, was er sah und was er hörte, war nicht mehr sein Terrania.
Der Lärm war infernalisch. Er hatte Terrania immer als stille, murmelnde und lachende Stadt erlebt, deren beständigstes Geräusch der Wind in den Bäumen war. Die Maschinen liefen lautlos; selbst die mächtigen Schiffe, die vom Raumhafen starteten, flogen schweigsam, erhoben sich auf ihren Antigravkissen ohne einen Laut. Das Geräusch der Luft, die sie verdrängten, und der mannigfachen Turbulenzen wurde von Dämpfungs- und Prallfeldern sowie Startgerüsten gemildert oder ganz kassiert.
Der Plastbelag der Straße federte wie Waldboden; er ließ die Schritte still werden – falls man nicht gerade Lach- oder sonstige Klangschuhe trug, wie sie seit einigen Jahren bei Kindern in Mode waren.
Ein milder Wind führte sonst den Geruch nach Wasser von den Goshun-Seen her. Zwischen den aufragenden Wohntürmen lag weiter Spielraum. Routh liebte die Plätze mit den Brunnen und Fontänen, die Geschäftigkeit der kleinen Technomärkte, die duftenden Haine und die Obst- und Wasser-Zugriffe, an denen man sich im Vorübergehen bedienen konnte. Ganz zu schweigen von den ausgedehnten Grünzonen und Wäldern.
Die gewaltigen Wohntürme wirkten, auch wenn sie überwiegend weiß gehalten waren, in ihren architektonischen Besonderheiten wie eigene Städte. Hoch aufragend schienen sie wie Masten das klare Himmelszelt zu tragen.
Terrania City hatte immer als eine der friedlichsten und lebenswertesten Städte der Liga, wenn nicht der ganzen
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