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PR2604-Die Stunde der Auguren

PR2604-Die Stunde der Auguren

Titel: PR2604-Die Stunde der Auguren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wim Vandemaan
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Ybarri war sicher keine Charismatikerin. Sie sprach wenig, war aber eine gute Zuhörerin.
    Bull fand, dass sie in den letzten Jahren souveräner geworden war, aber nicht leutseliger. Im Gegenteil, sie wirkte spröder, distanzierter denn je. Wie jemand, der zwischen die Fronten geraten war und dem der Weg zurück in die eine wie in die andere Richtung versperrt blieb: der Weg zu der Riege der Unsterblichen ebenso wie der zu den normalen Bürgern. Dabei verstand sie sich durchaus als Sachwalterin ihrer Wähler, der gegenwärtigen Menschheit. Jahrhundertplanungen wirkten auf sie befremdlich.
    Hin und wieder legte sie beim Reden eine Pause ein, und wenn man ihr in diesen langen Moment hineinsprach, lächelte sie und sagte: »Die Geschichte ist noch nicht zu Ende.«
    Es gab Begegnungen, an deren Ende Bull das Gefühl hatte, ihr nähergekommen zu sein. Aber sie war eine Meisterin darin, bei der nächsten Begegnung die lang eingeübte Distanz wiederhergestellt zu haben.
    »Du bist immer noch müde«, sagte Bull und dachte an Fran. Sie befand sich nicht auf Terra, nicht im Solsystem. Fran Imith war schon vor Tagen nach Aurora gereist, um wie viele andere den Aufbruch der BASIS zu beobachten. Arm in Arm hatten sie dieses Ereignis erleben wollen. Einerseits war Bully froh, sie in Sicherheit zu wissen, andererseits vermisste er sie schmerzlich.
    »Viele sind müde«, sagte sie, »viele sind irritiert.«
    Wie aufs Stichwort betrat Edorta Asteasu den Raum. Ybarris Adjutant hatte in seinem Gefolge einen Ara – hoch aufgeschossen und spindeldürr, blankhäutig, alles wie aus dem Völker-Bilderbuch – und einen korpulenter Terraner mit leicht hervorquellenden Augen und einer wallenden Mähne roter Locken.
    Den Ara kannte Bull nur flüchtig; der stämmige Mann hieß Solon Rooda und war seit dem Tod Melike Zhangs Residenz-Minister für Gesundheitspflege und Soziales.
    »Bhygessim und Solon Rooda«, stellte Asteasu beide vor.
    Ybarri sah ihren Adjutanten fragend an.
    Rooda hatte den Blick bemerkt und nahm dem Adjutanten die Antwort ab: »Bhygessim ist Leiter der Ganvallon Privatklinik für Schlafdesign in Antares City. Ich finde es ganz interessant, was er herausgefunden hat. Wir sollten ihn anhören.«
    Der Ara trug seine Erkenntnisse mit einer kläglich hohen, leicht bebender Stimme vor. Er begann mit einem kurzen Grundsatzreferat zum Thema Schlaf bei Menschen, Wirbeltieren, Lebewesen überhaupt.
    Die Sätze sprühten vor Fachausdrücken, bis Bull, mit einem freundlichen Lächeln, den Ara bat: »Ich bin ein begeisterter Fan der Somnologie. Ich verfolge seit den Tagen meiner ersten Hypnoschulung die fachmedizinische Diskussion über das aufsteigende retikuläre Aktivierungssystem und die Serotoninproduktion in den Raphekernen. Spannend. Ich könnte dir stundenlang zuhören. Leider sind wir im Augenblick in ziemlicher Zeitnot.«
    »Gewiss«, sagte Bhygessim und ließ den langen Schädel pendeln. Er räusperte sich umständlich und ausgiebig. »Ich habe herausgefunden, dass die Raumbeben dort, wo ihr Scheitelwert sechsdimensional war, die psychischen Prozesse beeinflussen konnten.«
    »Grob gesagt«, unterbrach ihn Bull, »und für den Hobby-Somnologen?«
    »Die sechsdimensionalen Effekte unterliefen die bewusstseinserzeugende Ebene der Psyche. Es wurde sozusagen Nacht im Geist, ohne dass es überall in der Realwelt dunkelte. Die Wirkung war allerdings psychosomatisch, also zugleich seelisch und körperlich. Die Netzhaut der Betroffenen erzeugte Unmengen von Melatonin, und zwar um den Faktor fünfzehn bis dreißig erhöhte Werte.«
    »Welche Werte wären normal?«, erkundigte sich Ybarri.
    »Faktor zehn bei Terranern, Faktor neun bei Arkoniden und Aras«, antwortete Bhygessim.
    »Eine tödliche Müdigkeit, die über die Menschen kommt«, sagte Rooda.
    »Die aber nicht jedermann und nicht jeden gleich stark befallen hat«, wandte Bull ein.
    »In der Tat«, sagte Bhygessim. »Möglicherweise gibt es ein Verteilungsmuster für Grad und Intensität der sechsdimensionalen Empfindlichkeit. Ein solches Muster haben wir mit den Mitteln der Ganvallon Klinik allerdings nicht erkennen können.«
    »Das heißt«, sagte Ybarri, »unsere Müdigkeit ist nicht einfach auf Stress zurückzuführen, den wir infolge der Beben erlitten haben, oder den wir nach der Versetzung spüren. Und es geht auch kein Virus um, der uns schläfrig macht. Wir sind nicht krank, sondern direkte Opfer der Raumbeben.«
    »Und möglicherweise des Versetzungsvorgangs«,

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