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PR2616-Countdown für Sol

PR2616-Countdown für Sol

Titel: PR2616-Countdown für Sol Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arndt Ellmer
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wieder dem Bett zu und beugte sich über seine Schwester.
    »Du machst Fortschritte, Lia. Das ist schön! Das ist phantastisch!«
    Er blieb bei ihr, bis es dämmerte. Korbinian ging hinaus und setzte sich auf die Treppe, die zum Strand hinabführte. Er wartete auf den Gleiter, aber der kam nicht. Als es völlig dunkel geworden war, kehrte er ins Haus und in das Zimmer seiner Schwester zurück. Er nahm sich einen Stuhl und setzte sich neben das Bett. Er sang ihr Lieder von Aveda vor, und der Automat dimmte seine Stimme ein wenig herunter.
    Irgendwann schlief er ein, aber es wurde ein unruhiger Schlaf. Immer wieder erwachte er, doch nichts hatte sich verändert.
    Es war die erste Nacht, in der Cop und Era nicht nach Hause kamen.
     
    *
     
    Korbinian Boko lernte den Umgang mit der Küchenzeile. Er kochte für Lia kleine, leichte Gerichte, deren Reste er dann aufaß. Rührei zum Beispiel. Oder eine nahrhafte Suppe aus frischem Gemüse und einem Stück Fleisch darin. Das Gemüse und das Fleisch pürierte er vor dem Servieren.
    Und dann saß er stundenlang neben dem neuen Bett seiner Schwester, einer Komfort-Versorgungseinheit mit Antigravdusche, Wasserbett und Esstisch. Der Prallfeldprojektor hob Lia aus dem Bett, stellte sie senkrecht an den Tisch und formte dann einen unsichtbaren Sessel, in dem sie eine bequeme Sitzposition einnehmen konnte, ohne sich anstrengen zu müssen.
    Während Korbinian sie fütterte, erzählte er von dem, was er in seinen Hypnoschulungen alles gelernt hatte. Er sprach extrem langsam und ließ das Gesicht seiner Schwester nicht aus den Augen. Sie reagierte nicht – kein Blinzeln, kein Zucken, kein schnelleres Atmen. Nicht einmal die Hirnströme zeigten, dass sie auf seine Worte reagierte. Er streichelte ihre Hände. Sie erwärmten sich, und die Wärme kroch ihre Unterarme hinauf zu den Ellenbogen.
    In der Küche wurde es plötzlich sehr laut. Era und Cop stritten sich.
    Korbinian schloss die Zimmertür, damit Lia den Streit nicht mitbekam. Dabei wusste er nicht einmal, ob sie überhaupt etwas hörte, und wenn ja, ob sie es auch verstand.
    Nach über einer Stunde wurde es wieder still im Haus. Erasma schlich ins Schlafzimmer, und Coperniu polterte die Treppe hinab ins Untergeschoss, wo er manchmal schlief.
    Korbinian wartete eine Weile, dann huschte er in sein Zimmer, holte Kissen und Decke und schlief bei Lia auf dem Fußboden.
    In den darauffolgenden Monaten kamen neue Ärzte ins Haus. Dreimal nahmen sie Lia mit in die Klinik, untersuchten sie, versuchten es mit Infusionen und sogar mit leichten Elektroschocks. Korbinian fiel auf, dass seine Eltern sich immer mehr entfremdeten. Im Haus machten sie einen Bogen umeinander, draußen im Freien mimten sie das harmonische Ehepaar. Korbinian sah fassungslos zu, wie sie sich und andere belogen.
    »Lia darf nicht schuld daran sein«, sagte er sich. »Wer aber dann? Liegt es an mir?«
    Als er sie fragte, stritten sie es ab. Monate später schimpften sie sogar mit ihm, weil er so dummes Zeug wissen wollte. Er entdeckte das Flackern in Eras Augen. Es war so fremdartig, so unmenschlich, dass er ab sofort den Mund hielt. Er flog mit einem Gleiter ins Krankenhaus und wollte Lia heimholen.
    Dieses Mal für immer, wie die Ärzte sagten.
    Cop und Era nahmen die Nachricht gefasst auf. Korbinian fragte nach dem Grund, aber sie schüttelten nur stumm die Köpfe.
    Das verstand er besser als die zehn Minuten Quatscherei, die Erasma anschließend von sich gab.
    Es bestand keine Hoffnung mehr für Lia. Sie würde Schwerstpflegefall bleiben.
    »Darüber muss ich nachdenken«, sagte er.
    Er wollte es nicht wahrhaben. Sie war doch teleportiert. Ein erstes Mal.
    Mit der Ungewissheit über ihre Zukunft wurde er erwachsen.
     
    *
     
    Es war eine dieser wunderbaren Sommernächte. Die Luft war lau, am Himmel leuchtete die Sternenpracht des Kugelsternhaufens. Korbinian saß draußen auf der Terrasse, in einer Hand den Shake, die andere sanft auf den knochigen Fingern der Schwester.
    Wie klein und zart sie war. Mit ihren inzwischen 20 Jahren hatte sie gerade mal die Größe einer Zwölfjährigen. Lia wurde optimal ernährt, aber ihre Muskulatur war extrem zurückgebildet, sie war nur Haut und Knochen. Selbst wenn sie eines fernen Tages wieder erwachen sollte, würde sie nie mehr in der Lage sein, selbstständig zu gehen.
    Korbinian zweifelte und hoffte. Während er ihr mit leiser Stimme erzählte, was er sah und empfand, dachte er über die Fähigkeiten der Funkenkinder nach.

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