PR2616-Countdown für Sol
funktionierte. Die Blase verschwand, er saß wieder auf dem Stuhl.
»Lia! Hilf mir!«
Es war nur ein Krächzen, das über seine Lippen kam. Er keuchte, sie würde es hören. Sie musste es hören. In seiner Brust krampfte sich alles zusammen wie bei einem Infarkt. Aber seine Gedanken blieben klar. Er sah die offene Tür und den Schatten der Überlebenseinheit auf der Terrasse.
Ich bin schuld! Alles ist meine Schuld! Der Brand, Lias Zustand – hätte die Löschanlage funktioniert, wäre Lia noch immer das lustige Mädchen von damals.
Du hast die Familie auf dem Gewissen!
Irgendwann gelang es ihm, sich am Tisch abzustützen und aufzustehen. Er machte ein paar unkontrollierte Schritte an der Tischkante entlang, bis er sein Gleichgewicht wiederfand.
Seine Beine fühlten sich an, als bestünden sie aus Blei. Steifer als jeder Steinzeit-Roboter stolzierte er hinaus zu seiner Schwester, immer mit einer Hand an der Wand.
Lias Augen waren weit geöffnet. Empfand sie Panik? »Es ist alles gut. Ich weiß jetzt, was damals geschah. Und ich weiß, dass auch ich eine Parafähigkeit besitze.«
Das reglose, eingefallene Gesicht entspannte sich. Vielleicht bildete er es sich auch nur ein, denn er konnte keinen Unterschied feststellen. Nichts Auffälliges, keine Veränderung in der Miene. Vom Ausdruck her ähnelte es kaum dem eigenen Allerweltsgesicht, das er zur Schau trug.
Gemeinsam warteten sie bis zum Mittag, dann dirigierte Korbinian die Überlebenseinheit in das Zimmer zurück. Draußen wurde es heiß, inzwischen waren es fast fünfzig Grad. Die Klimaanlage regulierte die Raumtemperatur und den Feuchtigkeitsgehalt, und der Servo empfahl, deutlich mehr zu trinken und keinen Sport zu treiben. Am Besten sei Liegen, und das tat er dann auch.
Erasma und Coperniu kehrten an diesem Tag nicht zurück, auch nicht am nächsten.
Korbinian wies den Servo an, mithilfe des Fahrzeugkodes den Standort des Gleiters zu bestimmen. Es klappte nicht. Der Gleiter war desaktiviert. Korbinian Boko setzte sich mit der Verwaltung von New Tahiti in Verbindung und gab eine Vermisstenanzeige auf.
Die zuständige Leitstelle meldete sich nach sechs Stunden. Der Servo gab ihm ein Anrufer-Signal.
Korbinian ging ins Wohnzimmer. Das Holo eines uniformierten Mannes erwartete ihn.
»Wir haben versucht, den Weg des Gleiters zu rekonstruieren. Zuletzt schickte er Signale von südlich der Bucht. Es sind mehrere Hundert Robotsonden unterwegs, die das zerklüftete Gelände absuchen.«
»Danke schön! Es wäre furchtbar, wenn wir unsere Eltern verlieren würden.«
»Natürlich, Korbinian«, sagte der Mann vom Sicherheitsdienst. »Wir melden uns morgen wieder oder sobald wir deine Eltern gefunden haben.«
Von da an erteilte täglich ein anderer Mitarbeiter Auskunft. Der Gleiter und die beiden Menschen indes blieben verschwunden.
Der Arzt meldete sich, von dem Era und Cop gesprochen hatten. Korbinian erfuhr endlich, was er längst vermutet hatte. Seine Eltern waren seit Jahren stark suizidgefährdet und deshalb in Behandlung. Mit den Jahren trat auch bei Psychopharmaka ein Gewöhnungseffekt ein, die Suizidgefahr wuchs.
Korbinian verbrachte Tag und Nacht damit, Lia zu streicheln, sie zu ernähren, ihr Geschichten vorzulesen. In einem Schrank fand er alte Bücher mit Geschichten wie »Sterntaler«, »Mann im Mond« und andere. Es waren Märchen von Terra.
Terra – das Solsystem –, die Heimat. Von dort waren die Großeltern gekommen.
Die Geschichten bauten eine Brücke und halfen ihnen beiden über schwere Wochen hinweg.
Erasma und Coperniu Boko blieben verschwunden. Die Verwaltung schickte einen Psychologen, der die beiden Zwanzigjährigen betreuen sollte.
Für Korbinian stand fest: Seine Eltern würden nicht wiederkommen. Sie hatten Selbstmord begangen.
4.
13. September 1469 NGZ
Mofidul Huq in der Nähe zu wissen, tat ihr gut. Mit ihm konnte sie am besten über das Sonneninnere sprechen – obwohl beide es auf ganz unterschiedliche Weise erfassten. Er saß auf einem Stuhl neben der Liege.
Prak-Parlong, der Chefmediker, hielt sich im Hintergrund, aber jederzeit bereit einzugreifen. Hinzu kam ein Dutzend silbrig glänzender Medoroboter, die wachsam über ihr schwebten und einen Kreis bildeten.
»Die Sonne frisst jeden, wenn er kein Spenta ist«, hatte Shaveena Deb kürzlich gesagt.
Shanda wusste das. Sie hatte die Gefahren bei ihren ersten Ausflügen erlebt.
»Ich gehe jetzt«, sagte sie.
»Gute Reise!«, wünschte Huq. »Ach, und noch
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