Pretty - Erkenne dein Gesicht
verflochten waren, zitterten ebenfalls in der Kälte. Tally schaffte es, sein Lächeln zu erwidern. "Ich auch."
"Lass dir von Shay kein schlechtes Gewissen unseretwegen machen, Tally."
"Natürlich nicht." Sie schüttelte den Kopf und ihr ging auf, wie sehr das "natürlich nicht" ihr von Herzen kam. Shay sollte glauben, was sie wollte, Zane war der Richtige gewesen, um das Heilmittel zu teilen. Er hatte sie prickelnd bleiben lassen, hatte sie angetrieben, damit sie die Tests der Smokies bestand, hatte sie bedrängt, die nicht getesteten Pillen zu nehmen. Tally hatte an diesem Tag mehr gefunden als nur ein Heilmittel gegen Pretty-Denken - sie hatte jemanden gefunden, mit dem sie weitergehen und alles hinter sich lassen konnte, was im vergangenen Sommer schiefgegangen war.
In ihren Winzling-Tagen hatte Peris versprochen, dass sie Freunde fürs Leben sein würden - aber an seinem sechzehnten Geburtstag hatte er sie in Uglyville zurückgelassen. Dann hatte Tally Shays Freundschaft verloren, sie hatte sie an die Specials verraten und ihr David weggenommen. Und jetzt war auch David verschwunden, irgendwo in der Wildnis, und aus ihren Erinnerungen schon halb gelöscht. Er hatte sich nicht einmal die Mühe gemacht, ihr die Pillen zu bringen - das hatte er Croy überlassen. Tally konnte sich ja denken, was das bedeutete.
Aber Zane ...
Tally starrte in seine vollkommenen goldenen Augen. Er war jetzt hier, bei ihr, leibhaftig, und es war blödsinnig von ihr gewesen, das, was es zwischen ihnen gab, von ihrer verworrenen Vergangenheit beeinflussen zu lassen. "Ich hätte dir das mit Shay früher erzählen müssen. Aber die intelligenten Wände ..."
"Ist schon gut. Aber du kannst mir vertrauen. Immer."
Sie drückte seine Hand mit ihren beiden. "Das weiß ich."
Er hob die Hand, um ihr Gesicht zu berühren. "Wir haben uns an dem Tag noch nicht sehr gut gekannt, was?"
"Wir sind ein Risiko eingegangen, denke ich mal. Komisch, wie das so gekommen ist."
Er lachte. "Ich glaube, das ist so gekommen, wie es immer kommt. Meistens ohne geheimnisvolle Pillen oder Specials, die an die Tür hämmern. Aber du gehst immer ein Risiko ein, wenn du … einen neuen Menschen küsst."
Tally nickte und beugte sich vor. Ihre Lippen begegneten sich, der Kuss war langsam und intensiv im eiskalten Regen. Sie konnte spüren, dass er zitterte, und der aufgeweichte Boden unter ihnen war kalt, aber ihre beiden Kapuzen kamen zusammen, um die Welt auszusperren, sie bildeten einen Raum, der von ihrer beider Atem gewärmt wurde.
Tally flüsterte: "Ich bin so froh, dass du an dem Tag bei mir warst."
"Ich auch."
"Ich ... uäääh!" Sie fuhr zurück und wischte sich das Gesicht. Wasser war unter Tallys Kapuze gesickert und lief jetzt wie eine kalte, boshafte Träne ihre Wange hinunter.
Er lachte, erhob sich und zog sie auf die Füße. "Komm schon, wir können hier nicht ewig bleiben. Lass und zurück nach Pulcher gehen und frühstücken und uns trockene Klamotten anziehen."
"Ich fühl mich aber noch ganz wohl."
Er lächelte, zeigte aber auf sein Handgelenk und wurde leiser. "Wenn wir zu lange an einer Stelle sitzen, dann könnte irgendwer neugierig werden und wissen wollen, was denn hier draußen in Uglyville so toll ist."
"Was immer das sein mag", flüsterte sie.
Aber Zane hatte Recht. Sie mussten nach Hause gehen. Sie hatten den ganzen Tag noch nichts zu sich genommen, außer den Kalorienfressern und ein wenig Kaffee. Ihre Winterjacken wurden beheizt, aber nach der körperlichen Anstrengung des Hubbrettfliegens und dem Schock, den der Sturz in den eiskalten Fluss ihr verpasst hatte, war Tally jetzt doch erschöpft und bis in die Knochen durchgefroren. Der Hunger, die Kälte und der Kuss hatten allesamt einen hohen Schwindel-Faktor.
Zane schnippte mit den Fingern und sein Brett hob sich in die Luft.
"Moment noch", sagte sie leise. "Ich muss dir noch etwas über den Abend des Durchbruchs sagen."
"Na gut."
"Nachdem ich dich nach Hause gebracht hatte ..." Bei der Erinnerung an Dr. Cables Gesicht musste Tally zittern, aber sie holte tief Atem, um sich zu beruhigen. Es war dumm von ihr gewesen, Zane nicht früher ins Freie zu ziehen, ihn von den intelligenten Wänden in Pulcher Mansion wegzuholen und von ihrer Begegnung mit Dr. Cable zu erzählen. Sie wollte nicht, dass es zwischen ihnen Geheimnisse gab.
"Was ist los, Tally?"
"Sie hat auf mich gewartet...", sagte sie. "Dr. Cable."
Bei diesem Namen wurde Zanes Gesicht für einen Moment ausdruckslos,
Weitere Kostenlose Bücher