Priester und Detektiv
niemand anderer wird es erfahren. Der nächste Schritt kommt nun Ihnen zu; ich werde keine weiteren mehr unternehmen, sondern alles unter das Beichtsiegel verschließen. Wenn Sie mich fragen, weshalb, so gibt es viele Gründe dafür und nur einen, der Sie angeht. Ich überlasse alles Ihnen, denn Sie sind noch nicht sehr weit gekommen wie andere Mörder. Sie halfen nicht mit, das Verbrechen dem Schmiede aufzubürden, noch auch seinem Weibe, als es leicht war. Sie suchten es dem Schwachsinnigen in die Schuhe zu schieben, denn Sie wußten, er würde dafür nicht büssen müssen. Das war einer der Lichtpunkte, die bei Mördern herauszufinden zu meinem Berufe gehört. Und jetzt kommen Sie hinab ins Dorf und ziehen Sie Ihres Weges, frei wie der Wind, denn ich habe nichts mehr zu sagen.«
In tiefstem Schweigen stiegen sie die Wendeltreppe hinab und traten durch die Schmiede in das helle Sonnenlicht hinaus. Wilfried Bohun öffnete sorgfältig die hölzerne Zauntüre und sagte, indem er auf den Inspektor zutrat: »Ich wünsche, mich Ihnen zu stellen, ich habe meinen Bruder getötet.«
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Das Auge des Apoll Jener einzigartige rauchige Schimmer, zugleich unklar wie durchsichtig, der das seltsame Geheimnis der Themse bildet, verwandelte sich mehr und mehr aus seinem Grau in sein glitzerndes Extrem, je mehr die Sonne dem Zenith über Westminster zustrebte und zwei Männer die Westminsterbrücke überschritten. Der eine war sehr groß und der andere sehr klein; bei etwas Einbildungskraft hätte man sie sogar mit dem anmaßenden Glockenturm des Parlaments und dem demütigeren krummen Rücken der Abtei vergleichen können, denn der kleinere trug ein geistliches Kleid. Das amtliche Signalement des Großen lautete auf Mr. Herkules Flambeau, Privatgeheimpolizist, der soeben nach seinem neuen Bureau in einem Neubau gegenüber dem Abteieingange ging. Die amtliche Personalangabe des kleinen Mannes lautete auf den hochwürdigen J. Brown, Hilfspriester an der Franziskus-Xaverius-Kirche in Camberwell, der von einem Sterbebette in Camberwell kam und sich das neue Bureau seines Freundes besehen wollte.
Das Gebäude war in seiner wolkenkratzenden Höhe echt amerikanisch und echt amerikanisch war auch die ganze geölte Vollendung seines inneren Getriebes von Fernsprech- und Aufzuganlagen. Aber es war noch nicht ganz vollendet und erst teilweise bezogen. Nur drei Meter hatten sich schon eingefunden. Die Räume gerade über Flambeau waren bewohnt, wie auch die gerade unter ihm, während die beiden Stockwerke darüber und die drei darunter noch gänzlich leer standen. Doch der erste Blick nach dem neuen Mietsturm wurde von etwas viel fesselnderem befangen. Abgesehen von ein paar Gerüstüberresten bestand der einzige in die Augen springende Gegenstand, gerade über Flambeaus Bureau angebracht, in einer ungeheuren vergoldeten Darstellung eines Menschenauges, umgeben von goldenen Strahlen.
»Was soll denn das zu bedeuten haben?« fragte Father Brown und blieb stehen.
»O, eine neue Religion,« erwiderte Flambeau lachend, »eine von jenen Religionen, welche einem die Sünden vergeben, indem sie sagen, man habe nie solche begangen. So etwas wie Gesundbeterei, glaube ich. Nichts weiter, als daß so ein Kerl, der sich Kalon nennt (wie er heißt, weiß ich nicht, sondern nur, daß er nicht so heißen kann), die Wohnung über mir gemietet hat. Unter mir sind zwei Maschinenschreiberinnen eingenistet und darüber habe ich diesen stark auftragenden, alten Schwindler. Er nennt sich den neuen Priester Apolls und verehrt die Sonne.«
»Er soll sich nur in acht nehmen,« meinte Father Brown. »Die Sonne war der grausamste aller Götter. Aber was soll das Riesenauge dort bedeuten?« »Soweit ich verstehen kann, gehört das zu ihrer Theorie, daß ein Mensch alles zu ertragen imstande ist, wenn nur sein Gemüt gänzlich unbewegt bleibt. Ihre beiden großen Sinnbilder sind die Sonne und das offene Auge, denn sie sagen, daß, wenn ein Mensch wirklich gesund sei, er in die Sonne starren können müsse.«
»Wenn ein Mensch wirklich gesund ist,« versetzte Father Brown, »würde er sich nicht damit abgeben, sie anzustarren.«
»Kurz, das ist alles, was ich Ihnen über die neue Religion zu sagen weiß,« fuhr Flambeau gleichgültig fort. »Natürlich behauptet sie auch, alle körperlichen Krankheiten heilen zu können.«
»Kann sie auch die eine Geisteskrankheit heilen?« fragte Father Brown in ernster Neugier.
»Und worin besteht die eine
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