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Priester und Detektiv

Priester und Detektiv

Titel: Priester und Detektiv Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gilbert Keith Chesterton
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von meinem Berufe Dinge für sich behalten soll, wenn er ihrer nicht sicher ist, und dieser Grund besteht darin, daß es so andauernd seine Pflicht ist, sie für sich zu behalten, wenn er ihrer sicher ist. Wenn Sie aber glauben, ich sei gegen Sie oder gegen irgend jemand unhöflich verschwiegen gewesen, so will ich bis an die äußerste Grenze meiner Gewohnheit gehen. Ich will Ihnen zwei sehr kräftige Winke erteilen.«
    »Nun?« fragte der Doktor verdrossen.
    »Erstens,« erklärte der Priester in aller Seelenruhe, »das Ding liegt ganz innerhalb Ihres Tätigkeitsbereiches. Es handelt sich um etwas aus dem physikalischen Wissensgebiete. Der Schmied irrt, nicht vielleicht weil er sagt, der Streich sei göttlichen Ursprunges, sondern weil er ihn durch ein Wunder ausführen läßt. Es war kein Wunder, Doktor, außer insoferne, als ein Mensch selbst mit seinem sonderbaren, zum Lösen neigenden und dennoch halb heroischen Herzen ein Wunder ist. Die Kraft, die jenen Schädel zertrümmerte, war eine den Gelehrten wohlbekannte, eine der in den Naturgesetzen am meisten umstrittenen.«
    Der Doktor, der ihn mit anhaltendem Stirnrunzeln betrachtete, begnügte sich zu fragen. »Und der andere Wink?«
    »Der andere ist das. Erinnern Sie sich, wie der Schmied trotz seines Wunderglaubens spöttisch von dem unmöglichen Märchen sprach, daß sein Hammer Flügel bekam und eine halbe Meile über Land flog?«
    »Ja, ich entsinne mich dessen,« gab der Doktor zu.
    »Nun, jenes Märchen kam von all dem, was heute gesagt wurde, der Wahrheit am nächsten.« Und damit kehrte er ihm den Rücken und stampfte hinter dem Kurat die Treppe hinauf.
    Wilfried Bohun, der bleich und unruhig auf seinen Gefährten gewartet hatte, als wäre diese letzte Verzögerung der Strohhalm für seine Nerven, führte ihn sofort nach seinem Lieblingswinkel in der Kirche, jenem Teile der Galerie, der der gemeißelten Decke am nächsten und im Lichte des wunderbaren Fensters mit dem Engel lag. Der kleine lateinische Priester besah und bewunderte alles nach Gebühr und sprach die ganze Zeit über freundlich, doch mit gedämpfter Stimme. Als er im Verlaufe seiner Untersuchungen auf den Seitenausgang und die Wendeltreppe traf, über welche Wilfried hinabgeeilt war, um seinen Bruder tot zu finden, lief Father Brown mit der Behendigkeit eines Affen nicht etwa hinab, sondern hinauf und seine klare Stimme kam von einer der äußeren Plattformen herab.
    »Kommen Sie hier herauf, Mr. Bohun. Die Luft wird Ihnen gut tun.«
    Bohun folgte ihm und trat auf eine Art steinerner Galerie oder Balkons außerhalb des Gebäudes, von wo man die endlose Ebene, aus der sich dieser kleine Hügel erhob, in Wäldern am Horizont entschwindend und mit Dörfern und Gütern bestreut überblicken konnte. Deutlich und viereckig, jedoch winzig klein lag der Hof der Schmiede unter ihnen, wo noch der Inspektor stand und Notizen machte und noch die Leiche wie eine zerklatschte Fliege am Boden lag.
    »Könnte die Weltkarte sein, nicht?« meinte Father Brown.
    »Ja,« stimmte Bohun sehr ernst zu und nickte mit dem Kopfe.
    Unmittelbar unter ihnen und um sie her verliefen die Linien des gotischen Baues mit einer dem Selbstmord verwandten Beschleunigung nach außen ins Leere. Es liegt in der Bauweise des Mittelalters jenes Element titanenhafter Tatkraft, das, von wo immer man es auch betrachtet, stets zu entschwinden scheint. Diese Kirche war aus altem und schweigendem Steine gehauen, bebartet mit alten Schwammbildungen und beklebt mit den Nestern der Vögel. Und doch, wenn man sie von unten besah, sprang sie wie ein Springbrunnen zu den Sternen empor, während sie jetzt von oben besehen wie ein Wasserfall in den lautlosen Abgrund stürzte. Diese beiden Männer standen jetzt allein auf dem Turme der schreckhaftesten Seite der Gotik gegenüber, der ungeheuerlichen, verkehrten Wirkung und Verkehrung der Verhältnisse, der schwindelerregenden Fernsicht ringsum, dem Anblicke großer Gegenstände, die sich winzig, und winziger die sich groß darstellten, dem Durcheinander in der Luft hängenden steinernen Schlingwerkes. Bruchstücke aus Stein, gewaltig durch ihre Nähe, hoben sich gegen eine Musterkarte von in ihrer Ferne pygmäenhaften Feldern und Formen ab. Ein aus Stein gehauener Vogel oder irgend ein Tier an der Ecke erschien wie ein kriechender oder fliegender Drache, der sich anschickt, die Triften und Dörfer dort unten zu verwüsten. Die ganze Atmosphäre war schwindel- und gefahrvoll, man hatte das

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