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Priester und Detektiv

Priester und Detektiv

Titel: Priester und Detektiv Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gilbert Keith Chesterton
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Brille mitten auf den Boden warf und darauf herumtrat. Sie war ganz im Flusse einer ethischen Scheltrede über »angekränkelte medizinische Ansichten« und ungesundes Eingeständnis von Schwäche, das sich in einem solchen Apparate ausdrücke. Sie verbot ihrer Schwester strengstens, je wieder solch künstliches, ungesundes Zeug mitzubringen. Ob man etwa von ihr annehmen würde, hölzerne Beine oder falsches Haar oder Glasaugen zu tragen, und dabei funkelten ihre Augen wie verhängnisvoller Kristall.
    Flambeau ganz verwirrt ob solchen Übereifers konnte sich nicht enthalten, Fräulein Pauline zu fragen, weshalb eine Brille ein krankhafteres Anzeichen von Schwäche sei als ein Fahrstuhl und weshalb die Wissenschaft, wenn sie in einem Falle gut genug war, im anderen Falle unzulässig sein sollte.
    »Das ist doch so grundverschieden!« antwortete Pauline Stacey von oben herab. Batterien und Motore und all diese Dinge sind Beweise menschlicher Kraft, jawohl, Mr. Flambeau, und auch der der Frauen. Wir werden uns unseren Anteil an diesen großen Maschinen, welche Entfernungen verschlingen und der Zeit Trotz bieten, schon nehmen! Das ist erhaben und herrlich – das ist wirkliche Wissenschaft! Aber dieses garstige Krücken- und Pflasterwerk, welches die Doktoren verschleißen, das sind nur die Kennzeichen der Feigheit, der Erbärmlichkeit. Die Doktoren stückeln Arme und Beine an als wären wir als Krüppel und sieche Sklaven geboren. Aber ich bin frei geboren, Mr. Flambeau! Die Leute glauben nur, sie bedürfen dieser Dinge, weil sie zur Furcht erzogen sind, anstatt zur Macht und zum Mut, gerade wie einfältige Kindermädchen, die den Kindern sagen, nicht in die Sonne zu starren, und so können sie es nicht ohne zu blinzeln. Aber weshalb sollte unter all den Sternen einer sein, den ich nicht ansehen dürfte? Die Sonne ist nicht Herr über mich und ich will meine Augen aufmachen und sie anschauen, wenn es mir paßt.«
    »Ihre Augen werden die Sonne blenden,« sagte Flambeau mit einer den Ausländer kennzeichnenden Verbeugung. Es machte ihm Spaß, dieser seltsamen, steifen Schönheit eine Schmeichelei zu sagen, zum Teil auch, weil sie dies ein wenig aus dem Gleichgewichte brachte. Doch als er die Treppe nach seiner Wohnung hinaufstieg, atmete er tief auf und pfiff vor sich hin, indem er zu sich selbst sagte: So ist sie also dem Beschwörer droben mit seinem goldenen Auge in die Hände geraten. Denn so wenig er auch wußte und sich um die neue Religion kümmerte, so hatte er doch von ihrem besonderen Merkmal des Sonnenstarrens gehört.
    Bald entdeckte er, daß die geistigen Bande zwischen dem Stockwerke oben und dem unten recht enge waren und sich immer enger knüpften. Der Mann, der sich Kalon nannte, war ein herrliches Geschöpf, physisch genommen würdig, ein Hohenpriester Apolls zu sein. Er besaß fast die gewaltige Statur Flambeaus, doch ein vorteilhafteres Äußere, dazu einen goldenen Vollbart, mächtige blaue Augen und eine nach rückwärts flatternde Mähne wie ein Löwe. Von Gestalt war er die blonde Bestie Nietzsches, doch all seine tierische Schönheit war gehoben, verschönt und gemildert durch echten Verstand und Geist. Sah er schon wie einer der großen Sachsenkönige aus, so glich er einem von jenen, die zugleich Heilige waren. Und bei all dem dieses waschecht londonsche Nichtzusammenstimmen mit seiner Umgebung, die Tatsache, daß er Bureauinhaber in einem mittleren Stockwerke eines Hauses der Viktoriastraße war, daß sein Schreibgehilfe, ein gewöhnlicher junger Mann in Kragen und Manschetten, im Vorzimmer zwischen ihm und dem Gange sah, daß sein Name auf einem Messingschild prangte und das vergoldete Emblem seines Glaubens auf die Straße hinaushing wie die Ankündigung eines Optikers. All diese Gewöhnlichkeiten vermochten nicht, den lebhaften Eindruck und das überwältigende auszulöschen, das von seiner Seele und von seinem Körper ausging; man fühlte sich gegenüber diesem Marktschreier in Gegenwart eines großen Mannes. Selbst in dem leichten, leinenen Jackenanzuge, den er als Arbeitsgewand in seinem Bureau trug, war er eine fesselnde und gewaltige Erscheinung, und angetan mit seinen weißen Gewändern und gekrönt mit dem Goldreife, wie er täglich die Sonne begrüßte, sah er wirklich so herrlich aus, daß den Leuten auf der Straße manchmal plötzlich das Lachen auf den Lippen erstarb. Denn dreimal des Tages trat der neumodische Sonnenanbeter auf seinen kleinen Balkon hinaus, um dort im Angesichte

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