Prime Time
kam über die Brücke. Das restliche Presseaufgebot versammelte sich an der einen Seite der Absperrung, der Polizeibeamte blieb auf der anderen Seite stehen.
»Okay«, sagte er. »Der Pressesprecher hat uns gerade wissen lassen, dass er nicht hierher kommt, deshalb habe ich jetzt hier ein Paar Informationen für die Medien. Wir machen es kurz und knapp.«
Annika fischte ihren Block und den Tintenschreiber aus der Tasche. Sie sah die Kollegen vergeblich auf ihren Kugelschreibern herumklicken. Dass sie das nie lernten.
Kugelschreiber waren einfach nicht zu gebrauchen, die Farbe löste sich im Wasser auf und fror in der Kälte ein. Wenn es so feucht war wie hier, funktionierte nicht einmal ein Bleistift, sondern nur wasserfeste Tinte.
»Michelle Carlsson ist in einem mobilen Regieraum hinter dem neuen Flügel im Schlosspark von Yxtaholm tot aufgefunden worden. Sie ist in den Kopf geschossen worden und war sofort tot …«
»Gibt es Anzeichen für einen Kampf in dem Regieraum?«, rief die Reporterin des staatlichen Fernsehens. Annika kannte sie und wusste, dass sie alles daransetzte, die Gefechte bei Pressekonferenzen stets zu gewinnen. Sie glaubte, sie wäre am besten, wenn sie laut und als erste schrie, sowie die Fragestunde eröffnet war.
Kriminalkommissar Q seufzte.
»Können wir das hier bitte ruhig und vernünftig über die Bühne bringen? Danke. Das Opfer ist in die gerichtsmedizinische Abteilung in Solna gebracht worden.
Die Gerichtsmediziner und die Ermittler werden ihre Arbeit dort fortsetzen. Wir haben im Laufe des Tages eine Reihe von Personen verhört, die sich zum Zeitpunkt des Todes in der Nähe des Schlosses aufhielten. Momentan gibt es keinen Verdächtigen, doch die Ermittlungen und Verhöre werden fortgesetzt, sowohl hier als auch andernorts. Natürlich werde ich zum gegenwärtigen Zeitpunkt keine Details der Ermittlungsarbeit preisgeben. Haben Sie Fragen?«
»Wie lange werden die Verdächtigen noch auf dem Schloss festgehalten?«, kreischte die Fernsehreporterin.
Q ließ sich mit der Antwort ein wenig Zeit.
»Wie ich soeben erwähnt habe«, sagte er dann sehr langsam, »gibt es momentan keine Verdächtigen. Es wird niemand gegen seinen Willen im Schloss festgehalten. Die Personen, die im Laufe des Tages verhört worden sind, haben aus freien Stücken kooperiert, um uns bei der Ermittlungsarbeit zu unterstützen.«
»Werden die Zeugen dann heute Abend nach Hause fahren wollen, oder werden sie sich dazu entschließen, noch eine weitere Nacht auf Yxtaholm zu verbringen?«, fragte Annika brav.
Q lächelte fast.
»Meine Einschätzung ist, dass alle Zeugen wahrscheinlich beschließen werden, noch eine Nacht im Schloss zu verbringen«, sagte er. »Noch Fragen?«
Selbstverständlich hatte man noch Fragen. Die Medien, die über den Äther gingen, mussten ihre Fragen natürlich unabhängig voneinander stellen, weil sie ja so unglaublich wichtig waren und alle eine eigene, ganz besondere Antwort haben wollten. Annika sah folglich Q jede Frage dreimal beantworten. Erst in die klobige Kamera des staatlichen Fernsehens, denn Fernsehen ist ja besser als Radio, und staatlicher Sender ist besser als lokaler. Dann in die kleine Digitalkamera der
Öst-Nachrichten
und am Ende in das Mikrofon des Lokalreporters.
Annika lief hinter ihnen auf und ab. Als alle fertig waren, ging sie auf Q zu.
»Gott, sehen Sie nass aus«, sagte er.
»Haben Sie Essex schon erwischt?«, fragte sie.
Der Kommissar stöhnte und holte eine Schachtel Zigaretten heraus.
»Wenn man John Essex erwischen will, dann muss man nur dem Gekreische der Teenager folgen«, sagte er, zündete sich eine Zigarette an und nahm einen tiefen Zug. »Natürlich haben wir ihn.«
»Heißt das, dass es auch andernorts Verhöre gibt?«
Die Antwort war ein Grinsen.
»Und?«, fragte Annika.
»Nicht verdächtiger als andere.«
»Wann ist sie gefunden worden?«
Q sah sie an und blies den Rauch aus.
»Kann ich nicht sagen.«
»Das heißt, es hat eine Weile gedauert, bis Sie hier waren.«
»Es wäre gut, wenn Sie das nicht schreiben würden«, sagte der Polizist.
»Dann erzählen Sie.«
Er schnaubte.
»Die Notrufzentrale hat die Sache nur als nicht bestätigten Todesfall bekommen. Sie ist kurz nach sechs gefunden worden, die Streife war zwei Stunden später hier.«
»Genug Zeit für die Beteiligten, ihre Geschichten zu koordinieren«, befand Annika.
»Davon haben wir nichts gemerkt«, sagte der Beamte kurz.
»Und wie ist Hannah die Neonazisse
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