Prime Time
Satzes beiseite.
»Was haben wir noch?«
Er ging zum Desk und setzte sich in der Mitte auf den leeren Stuhl des Auslandsredakteurs. Spiken ließ sich auf seinem eigenen Platz nieder, räusperte sich und trank aus einem fast leeren Kaffeebecher.
»Also, wir haben die Liste mit den zwölf Personen, die sich während der Nacht im Schloss befanden. Soweit Bengtzon es rausgekriegt hat, sind sie alle noch da, abgesehen von John Essex. Er ist abgehauen, ehe Michelle gefunden wurde.«
Anders Schyman schrieb mit hochgezogenen Augenbrauen mit. »Ausgezeichnet«, sagte er. »Das habe ich auf dem Nachrichtenticker nicht gesehen. Sind das offizielle Informationen?«
Jansson, der Nachtchef, kam angelaufen, verschüttete etwas Kaffee und lächelte zufrieden.
»Nein, verdammt«, sagte er, »das kommt von Annika Bengtzon. Kann sein, dass wir die Einzigen sind, die das haben.«
Anders Schyman sah zu, wie der Kaffee in einen Papierkorb tropfte.
»Woher hat sie die Liste?«
»Die Autos auf dem Besucherparkplatz. Und dann hat sie irgendeine Quelle, über die sie nicht sprechen will.«
Bild-Pelle und Spiken verdrehten die Augen.
»Was wollte denn John Essex da?«, fuhr Schyman fort. »Er ist doch inzwischen sogar für das Globen-Stadion zu groß.
Das ist ein extra Artikel. Bitten Sie die Leute von der Unterhaltung, sich darum zu kümmern.«
Spiken machte sich eine Notiz.
»Und was machen wir jetzt mit der Liste?«, fragte Jansson.
»Wie nennen wir die Zwölf?«
Anders Schyman klopfte mit dem Stift auf seinen Block.
»Jedenfalls nicht ›Verdächtige‹. Vielleicht ›Freunde‹ oder ›Zeugen‹. Wir müssen den Text lesen und dann sehen, wo wir landen.«
»Die Freunde wurden Zeugen des Mordes«, schlug Pelle Oscarsson im Hintergrund vor.
»Außerdem müssen wir natürlich die Ermittlungen der Polizei verfolgen«, sagte Schyman.
»Und dann ist da noch das Schloss selbst«, meinte Spiken, »Yxtaholm. Entzückender Ort, nur hundert Kilometer von Stockholm entfernt, aber doch völlig abgeschieden.«
Der Redaktionschef nickte.
»Das ist wahr«, sagte er. »Die Regierung nutzt es immer für geheime Verhandlungen. Ich weiß, dass vor ein paar Jahren die kolumbianische Regierung dort mit der Farc-Guerrilla verhandelt hat.«
»Es heißt, dass auch Arafat und die Israelis schon da gewesen sind«, meinte Jansson.
Spiken nickte zustimmend.
»Das kann ein eigener Artikel sein, auf Seite zwölf«, sagte er. »Wer macht das?«
»Annika Bengtzon hat mir schon mal was darüber erzählt«, meinte Schyman, »da ist es wohl am besten, wenn sie das schreibt. Und wie steht es mit unserem Mann am Tatort?
Wennergren? Hat schon jemand mit ihm geredet?«
Spiken wand sich ein wenig.
»Noch nicht. Er kann gerade nicht telefonieren, die Verhöre und der ganze Scheiß …«
»Stimmt es, dass Barbara auch dort ist?«
Die Frage kam kurz angebunden. Spiken schwieg.
»Also«, sagte Jansson, »Barbara macht, was sie will. Ich habe mit ihr geredet, bevor sie hingefahren ist, und sie hat gesagt, sie würde in ihren Glossen schreiben, was sie will, solange sie die Zustimmung des verantwortlichen Herausgebers hätte.«
»Und den Segen der Eigentümerfamilie«, sagte Bild-Pelle.
»Sie ist ja eine von denen«, meinte Jansson.
»Was machen wir mit Michelle?«, fragte Schyman.
Plötzlich herrschte am Nachrichtendesk betroffenes Schweigen. Bild-Pelle blätterte in einem Stapel Kopien, Jansson trank sehr konzentriert seinen Kaffee. Schyman bemerkte, dass Spiken erst zögerte und dann Anlauf nahm.
»Journalistisch gesehen wäre es das Richtige, über ihren Hintergrund so zu berichten, wie er ist«, sagte er. »Eine alkoholkranke Hure als Mutter, der Vater tot durch einen Autounfall, andauernd Männergeschichten, kontrovers und reich, viel diskutiert und verabscheut …«
Anders Schyman hatte die rechte Hand erhoben und Spiken verstummte.
»Also, zunächst einmal«, sagte der Redaktionschef, »hat diese Zeitung schon fünfzigtausend Kronen Schmerzensgeld gezahlt, weil wir die Informationen über die süchtige Hurenmutter gebracht haben. Außerdem haben wir uns schriftlich verpflichtet, nie wieder irgendwas über sie zu schreiben. Diese Artikel können wir nicht einfach aus dem Archiv holen. Und was die anderen Adjektive angeht, die Sie benutzt haben, Spiken, dann ist das ja wohl nicht gerade die allgemeine Meinung, oder? Genauer gesagt hat nur diese Zeitung diese Ansicht vertreten.«
Auf der Oberlippe des Nachrichtenchefs hatte sich Schweiß
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