Prime Time
Waffe natürlich noch genauer untersuchen und prüfen, wie sie hierher gekommen ist, aber für den Mordfall selbst ist das nicht von Belang.«
»Haben Sie einen Verdächtigen?«
Wieder das staatliche Fernsehen.
»Wir folgen den Hinweisen der Spurensicherung und der Zeugen«, sagte der Kommissar.
»Wird es irgendwelche Festnahmen geben?«, fragte Bosse.
»Im Moment nicht, aber die Dinge verändern sich jeden Augenblick. Wir sind einigermaßen sicher, den Mordfall lösen zu können.«
»Wo ist John Essex heute?«
Der Fernsehreporterin schlug bei der Frage die Stimme über, so gespannt war sie.
»In Deutschland auf Tournee«, sagte Q. »Ich glaube, heute spielt er in Köln. Sonst noch Fragen?«
»Hat es in der Nacht weitere Bewegungen um das Schloss gegeben?«, fragte Annika. »Autos, Boote, andere Verkehrsmittel?«
Die Augen des Polizisten verengten sich.
»Soweit wir wissen, nur der Personenwagen.«
»Glauben Sie, dass einer der zwölf auf dem Schloss der Mörder ist?«, fragte Annika weiter, und es war ihr egal, dass die anderen die Antwort auch hören würden.
Der Polizeibeamte seufzte und lehnte sich an den Baumstamm. Dann suchte er in der Brusttasche nach seinen Zigaretten.
»Das kann man natürlich nicht ausschließen«, sagte er mit wachsamem Blick.
Annika konzentrierte sich auf seine Augen und versuchte, etwas aus dem strahlenden Blau herauszulesen.
Das sagt er, weil er will, dass wir das schreiben und weitergeben. Er will, dass wir verbreiten, jemand auf dem Schloss könnte der Mörder sein. Das würde seinen Zwecken dienen. Aus welchem Grund?
Er merkte, dass sie ihn beobachtete, begegnete ihrem Blick, zündete sich eine Zigarette an und inhalierte den Rauch.
Sie musste einsehen, dass man darüber nicht spekulieren konnte. Entweder ist einer der zwölf wirklich der Mörder, dann will er diese Person verunsichern. Oder aber es ist ein Außenstehender, und dann möchte er ihn in Sicherheit wiegen.
Er durchschaute sie.
»Okay«, sagte er. »Wir sind dabei, zu packen und zurück nach Stockholm zu fahren. Ab morgen wird unser Pressesprecher wieder übernehmen.«
»Aber etwas mehr könnten Sie uns schon noch sagen«, quengelte Bosse.
Q verließ seinen Baumstamm und ging mit langsamen Schritten auf die Absperrung zu. War er erschöpft?, fragte sich Annika. Oder spielte er nur den Zurückhaltenden?
»Verdammt«, sagte Bosse, »der lässt aber auch gar nichts raus.«
»Also die Sache mit dem Auto und der Zeitpunkt des Todes waren zumindest für mich neu«, meinte Annika. Im selben Augenblick sah sie Anne Snapphane schwer bepackt aus dem Südflügel kommen. Erleichterung machte sich in ihr breit, und sie ging unwillkürlich ein paar Schritte auf die Absperrung zu und winkte. Aber Anne sah sie nicht, sie hatte den Blick fest auf den Boden gerichtet, ihr Rücken war gebeugt. Die Taschen schienen bleischwer zu sein.
»Soll ich dir tragen helfen?«, fragte Annika, als Anne Snapphane mit blassem Gesicht und schweißnass unter der Absperrung hindurchkroch.
Die Freundin sah ängstlich auf.
Dann fast ein Lächeln.
»Ich habe gedacht, du wärst schon weg.«
»Ehe die Geschichte vorbei ist?«
Annika sah ihre Freundin an. Sie hatte sich verändert. Ihre Haltung war anders als sonst, wenn sie sonntags mit den Kindern auf Djurgården gewesen waren. Das Haar war trotz der neuen Farbe matt, die Haut durchsichtig und dünn. Angst stand ihr in den Augen, die Schultern schienen unter den Taschen wegzurutschen.
»War es anstrengend?«, fragte sie.
Anne antwortete nicht, sondern ließ den Blick über den Parkplatz schweifen.
»Und wie soll ich jetzt nach Hause kommen, verdammt noch mal?«
Ihre Stimme klang kläglich und tonlos.
»Ich habe ein Auto«, sagte Annika. »Berits Dienstwagen.
Wenn du deine Ruhe willst, lasse ich dich am Bahnhof raus.
Wenn du es aushältst, dass ich vorher noch an Großmutters Grab vorbeifahre, bringe ich dich nach Hause.«
Gemeinsam trugen sie schweigend Annes Gepäck zu Berits Auto. Anne rutschte auf den Beifahrersitz, machte die Tür zu und vergrub das Gesicht in den Händen.
Annika ging zu Bertil Strand, der entspannt beim Fernsehteam stand und mit den Tontechnikern plauderte. Sie stellte sich neben ihren Kollegen, ohne dass er ihr Beachtung geschenkt hätte. »Wir sind fertig, oder?«, unterbrach sie ihn schließlich.
Bertil Strand brach mitten in einem Lachen ab und wandte sich ihr zu.
»Hast du es irgendwie eilig?«
»Wir sehen uns in der Redaktion.«
Er nickte
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