Prime Time
sicher, dass Sie das Ding nicht mehr brauchen?«
»Wir haben die Bilder, soweit sie von Interesse waren, kopiert.« Er dankte und legte auf, ließ die Hand aber noch eine Weile auf dem Hörer liegen.
Dann bat er Tore Brand, die Kamera so schnell wie möglich abzuholen.
Zwanzig Minuten später hielt er das beschlagnahmte Gerät in der Hand, eine Plastiktüte mit Code der Behörde, Inventarnummer, Anliegen und Laufnummer. Er riss die Tüte auf und holte den Apparat heraus, der klein, kompakt und schwer war. Eine Digitalkamera mit der Sicherungsnummer der Bildreaktion des
Abendblatt
auf der Rückseite. Er schaltete sie ein, und es kam Leben in das Ding, es surrte, und auf dem Display waren in Orange die Buchstaben »Hello!« zu lesen.
Er betrachtete die Knöpfe, alles wirkte sehr logisch. Er hatte noch nie eine solche Kamera benutzt, war aber dabei gewesen, als man beschloss, sie für die Bildredaktion anzuschaffen. Der Unterschied zu einer gewöhnlichen Kamera war eigentlich nicht groß, die Bilder wurden nur auf einer Platte gespeichert anstatt auf einer Filmrolle. Das Schöne daran war, dass man sie nicht entwickeln lassen musste, man brauchte sie nur anzuklicken und konnte sie dann betrachten.
Anders Schyman schaltete das Display an, das auch gleich das erste Bild zeigte. Eine junge Frau, die er vage als eine Freundin von Annika Bengtzon wiedererkannte, lachte ihn mit glasigem Blick und einem Bier in der Hand an. Das nächste Bild: Carl Wennergren in einem Sessel, die Füße auf dem Esstisch.
Er drückte weiter und sah ein Partybild nach dem anderen vorüberflattern. Und als er gerade die Kamera ausschalten wollte, schrak er zusammen.
Auf Bild siebzehn waren zwei Menschen zu sehen, die Sex auf einem Esstisch hatten, und zwar in einer Stellung, die man durchaus fortgeschritten nennen konnte. Es gab gar keinen Zweifel, um wen es sich handelte, es waren Michelle Carlsson und John Essex. Anders Schyman starrte eine Weile misstrauisch und klickte dann das nächste Bild an. Es war verschwommen und dunkel, aber er konnte dennoch erkennen, dass das Paar die Stellung gewechselt hatte.
Nächstes Bild, Michelle über die Tischkante gebeugt, der Mann stehend von hinten.
Eigentlich sollte mich das jetzt erregen, dachte der Redaktionsleiter, der sich über seine ungerührte Reaktion wunderte. Irgendwie sollte mich das doch berühren.
Er ging rasch die übrigen Bilder durch. Alle waren mehr oder weniger verschwommen und dunkel. Heimlich aufgenommen. Ein weißer Türrahmen, den man immer mal wieder auf dem rechten Bildrand sah, zeugte davon, dass der Fotograf in einem angrenzenden Raum versteckt gestanden hatte.
Auf Bild neununddreißig sah man plötzlich die Konturen einer weiteren Person. Eine dunkle Silhouette in der linken oberen Ecke, das Paar auf dem Tisch hatte wieder die Stellung gewechselt. Die Silhouette kam auf Bild vierzig näher, und auf Bild einundvierzig konnte er sehen, wer es war.
Mariana von Berlitz, die Freundin von Carl Wennergren, die in dem ersten Sommer, in dem er bei der Zeitung war, ein Volontariat in der Nachtschicht gemacht hatte.
Sie hielt einen großen Revolver in der Hand.
Anders Schymans Nackenhaare stellten sich auf. Großer Gott, er musste vom Stuhl aufspringen, wollte seinen Augen nicht trauen. Die schwere Kamera brannte plötzlich in seiner Hand – war das hier der Mord?
Leicht zitternd drückte er zum nächsten Bild und landete wieder bei Annika Bengtzons betrunkener Freundin. Er hatte alle einmal durchlaufen lassen. Er versuchte es noch einmal in beide Richtungen, um sicherzugehen, dass er nichts übersehen hatte. Dann blickte er durch die Glasscheibe über die Redaktion. Niemand sah in seine Richtung, alle waren mit ihrer Arbeit beschäftigt, zum Besten der Zeitung oder vielleicht auch zu ihrem eigenen Besten.
Was sollte er mit den Bildern machen?
Die Polizei hatte entschieden, dass sie für die Ermittlungen ohne Wert waren.
Falsch, korrigierte er sich selbst, die Kamera war ohne Wert für die Morduntersuchung. Die Bilder waren kopiert worden.
Dann die logische Frage: Wer hatte sie aufgenommen?
Soweit er wusste, war keine Kamera als gestohlen gemeldet worden, was darauf schließen ließ, dass der Fotograf ein Angestellter der Zeitung gewesen sein musste.
Mit anderen Worten: Entweder Barbara Hanson oder Carl Wennergren.
Was um Himmels willen sollte er mit der Kamera machen?
Er legte das metallfarbene Stück Sprengstoff vor sich auf den Schreibtisch. Dann schaukelte er ein
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