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Principia

Principia

Titel: Principia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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wahrgenommen – eine absichtliche Beleidigung von Blaise wie etwa die Weigerung, Arnauld an einer Tür den Vortritt zu lassen, oder eine witzige Bemerkung über Arnaulds Perücke, die drei Monate zuvor noch so à la mode gewesen war. Falls Blaise ein geschliffener Geist war, ging er daraufhin einfach weiter, summte unbekümmert ein Liedchen und gab sich ganz den Anschein, als hätte er den Vorfall vergessen.
    Arnauld dagegen wurde zu einem lebendigen Ausstellungsstück. Es traten Symptome auf, die so offensichtlich und dramatisch waren, dass sie einen Untersuchungsgegenstand für die Royal Society abgaben. Ja, eine ganze Gruppe von englischen Gelehrten hätte mit ihren Vergrößerungsgläsern und Notizbüchern um den armen Arnauld herumstehen, die Veränderungen in seiner Physiognomie beobachten, sie auf Lateinisch niederschreiben und in schwerfällige Holzschnitte verwandeln können. Die meisten dieser Symptome hatten mit der Gemütsverfassung der Leidenschaft zu tun. Ein paar Augenblicke lang stand Arnauld reglos da, während die Beleidigung in sein Bewusstsein drang. Sein Gesicht wurde rot, weil die Gefäße darin erschlafften und infolgedessen mit Blut aus einem Herzen vollgepumpt wurden, das zu hämmern angefangen hatte wie eine türkische Kesselpauke, die zur Attacke rief. Doch das war nicht der Augenblick des Angriffs, da Arnauld während dieser Phase keiner körperlichen Regung fähig war. Seine ganze Aktivität spielte sich in seinem Verstand ab. Als der erste Schreck überwunden war, überzeugte Arnauld sich zunächst, dass er seine Gefühle in den Griff bekommen, sich wieder unter Kontrolle hatte und bereit war, die Dinge vernünftig zu betrachten. Die folgenden paar Minuten verwandte er darauf, die Begegnung mit Blaise noch einmal Revue passieren zu lassen. Mit seiner Vorliebe für eine rationale, methodische Vorgehensweise stellte Arnauld dann alle Beweise zusammen, die er brauchte, um Blaise des Schurkentums zu überführen und ihn zum Tode zu verurteilen. Danach ließ der Angriff nicht mehr lange auf sich warten. Aber wer nicht, wie die Fellows der Royal Society, beobachtet hatte, wie es dazu gekommen war, musste den Eindruck gewinnen, das sei nun die plötzliche Explosion einer Höllenmaschine.
    De Gex stand hinter MacIan und hatte über dessen Epauletten hinweg die Fahnenverbrennung beobachtet. MacIans Ohren waren an der Rückseite kirschrot geworden. Als Jack an ihm vorbei zur Treppe ging, hatte er nicht einmal mit der Wimper gezuckt. De Gex wusste, was bald passieren würde. Es gab nichts, was er jetzt hätte sagen können, um die in MacIans Gehirn ablaufenden Vorgänge zu unterbrechen: die Zusammenstellung der Argumente, das sichere und unausweichliche Urteil. Aber es gab etwas, was er tun konnte. Er stellte seinen Tornister auf den Boden und griff geräuschlos in die Tasche seiner Soutane. Es war keine Tasche mit Innenbeutel, sondern nur ein Schlitz, der durch das ganze Kleidungsstück ging und ihm Zugriff zu dem gewährte, was sich darunter befand.
    Pater Édouard war Mitglied der Gesellschaft Jesu, aber er war beteiligt an der Gesellschaft der Menschen – um genau zu sein, der Menschen von London, der brutalsten Stadt, die er je gesehen hatte, und das, obwohl er den Erdball umrundet hatte. In seinem Hosenbund erspürten seine Finger das Heft eines prachtvollen Dolches aus Damaszenerstahl, den er aus einem Banyan in Batavia mitgenommen hatte. Leise zog er ihn aus der ledernen Scheide. MacIan hatte sich immer noch nicht gerührt. Der Raum war still, abgesehen vom Knistern der Flammen, die auf den Stapel alter, von Jack um die Fahne herumgestreuter Dokumente übergingen. De Gex durchbrach die Stille, zumindest ein wenig, indem er einen Schritt vorwärts machte.
    Das löste jedoch ein lauteres Geräusch hinter ihm aus. Bevor de Gex sich umdrehen konnte, um nachzuschauen, woher es kam, war seine Dolchhand von hinten gepackt und hinter seinem Rücken nach oben gedrückt worden. Die Finger lösten sich und ließen die Waffe fallen; allerdings fiel sie nicht auf den Boden, sondern wurde von einer anderen Hand aufgefangen. Einen Moment später erschien diese Hand vor ihm und führte den Dolch an seine Kehle. Er war hinterrücks von einem Mann umfasst worden, der nach schweißdurchtränkter Wolle, Pferden und Schießpulver roch. Einer der Highlander war ihm lautlos die Treppe herunter gefolgt.
    »Ihr seid ein Mann der Kirche, deshalb gewähre ich Euch das Vorrecht der Geistlichkeit«, flüsterte der

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