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Principia

Principia

Titel: Principia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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befahl den Highlandern um ihn herum, auf ihren Posten zu bleiben, und schritt auf den Rundturm zu. Mehrere der Schotten gaben vor, seinen Befehl nicht verstanden zu haben, und folgten ihm; doch MacIan, der jetzt dieselbe Tür im Visier hatte, drehte sich mit einem ausgesprochen cholerischen Ausdruck im Gesicht um und ließ ein paar Worte auf Schottisch fallen, worauf alle den Blick abwandten. Nur zwei Schritte vor de Gex betrat er den runden Turm.
    »Bedauerlich«, bemerkte Letzterer, während sein Blick durch den vollkommen kahlen Raum schweifte, »all die astronomischen Geräte sind weg.«
    Lord Gy war schon auf dem Weg nach unten. »Hä?«
    »Wusstet Ihr das nicht? Hier hat Flamsteed gearbeitet, damals, bevor das Königliche Observatorium nach Greenwich verlegt wurde. Der Nullmeridian der Engländer verlief einmal durch diesen Raum -«
    Was völlig belanglos und nebensächlich war, wie de Gex sehr wohl wusste. Ihm gefiel jedoch Lord Gys Miene nicht, und er wollte seine Konzentration stören. Der Schachzug hätte vielleicht bei einem französischen Adligen gewirkt, dessen gesellschaftliche Reflexe in den Salons von Versailles auf zitternde Perfektion getrimmt worden waren. Er funktionierte jedoch nicht bei Lord Gy, der in den Adelsstand aufgestiegen war, indem er einen solchen Franzosen entzweischlug, und der in diesem Moment aussah, als wäre er bereit, es wieder zu tun.
    Der runde Turm diente einer Wendeltreppe als Stütze. Jack zu finden, hieß also, der Spirale nach unten zu folgen und in jede sich bietende Tür zu spähen. Schon nach kurzer Zeit entdeckten sie ihn auf dem mittleren der drei Stockwerke des Gebäudes. Diese ehemals königlichen Räumlichkeiten hatten während der letzten Jahrhunderte zur Aufbewahrung offizieller Dokumente gedient. Jack hockte mit dem Rücken zu ihnen unmittelbar vor einem höhlenartigen Kamin und schüttelte Pulver aus einem Horn auf die schottische Fahne, die er mehrmals zusammengefaltet unter einen Feuerbock gestopft hatte. Beim raschen Durchqueren des ehemaligen Thronsaals hatte er einen Armvoll aufgerollte Papiere von einem staubigen Regal gefegt und als Anzündmaterial unter die Fahne und um sie herum gestapelt.
    »Jacques -«, hob de Gex an.
    »Um Vergebung, Eure Jungfräulichkeit, ich zerstöre nur den Beweis.«
    »Du Hundsfott!«, rief Lord Gy aus.
    »Habe ich ›den Beweis zerstören‹ gesagt?«, fragte Jack, der mit einem Blick über die Schulter MacIans gewahr wurde. »Diese heilige Fahne wurde im Gefecht zerrissen und beschmutzt, und ich fand, dass es jetzt nur noch eine einzige respektvolle Art gibt, sie zu beseitigen, nämlich die der reinigenden Flamme.« Und er hielt eine Pistole – eine ungeladene, wie sich herausstellte – an die Fahne und betätigte den Abzug. Funken vom Feuerstein sprühten über pulververschmiertes Gewebe und wurden zu etwas mehr als Funken: Eine zischende Flamme breitete sich auf der Fahne aus, wie Feuer auf einer Wiese mit trockenem Heu, nur schneller. Jack wich zurück und wankte von dem Kamin fort, um dem Rauch zu entgehen. Da in der Esse noch kein Abzug eingebaut worden war, folgte ihm ein guter Teil des Rauches – ja, er wurde so in Jacks Windschatten gesogen, dass es aussah, als zöge Jack ihn wie eine Rakete hinter sich her. »Gut, gehen wir irgendwohin, wo man atmen kann«, schlug er vor und steuerte mit großen Schritten an de Gex und MacIan vorbei auf die Treppe zu.
    Nun hatte de Gex in seinem Leben schon ein paar Duelle gesehen, und die waren mindestens so formell und so vorsätzlich gewesen wie Hochzeiten. Er hatte aber auch eine genügend große Zahl von plötzlich aufflammenden mörderischen Messerstechereien erlebt, um zu wissen, dass selbst die nicht so spontan waren, wie sie aussahen.
    Bei einem Spaziergang durch den Park von Versailles konnte es passieren, dass man plötzlich Geräusche hörte und, wenn man sich umdrehte, in einiger Entfernung sah, wie ein Bursche – nennen wir ihn Arnauld – mit gezogener Klinge einem anderen – nennen wir ihn Blaise – nachstellte. Als unbedarfter Beobachter zog man nun vielleicht den Schluss, dass Arnauld sich soeben ohne Vorwarnung auf den anderen gestürzt hatte, wie ein vereister Ast, der von einem Baum fällt. Doch in Wahrheit waren die Arnaulds der Welt nur selten so unbesonnen. Ein sorgfältiger Beobachter, dem Arnauld schon zwei oder drei Minuten vor der Attacke aufgefallen war, hätte vielleicht irgendeine Art von wechselseitiger Aktion zwischen ihm und Blaise

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