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Principia

Principia

Titel: Principia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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Litanei angefangen hatte, fiel es ihm schwer, wieder damit aufzuhören. Was er hier vor sich hatte, war so etwas wie eine konzentrierte Essenz jenes quecksilbrigen Geistes, der die halkyonischen Tage Daniels und der Royal Society beseelt hatte. Diese Seiten in Händen zu halten hieß, kräftig vom Quell der Jugend zu trinken.
    Was ihn schließlich doch innehalten ließ, war eine Seite, die nicht – wie die meisten anderen – auf Englisch und auch nicht – wie einige – auf Lateinisch, sondern in einem ganz anderen Alphabet abgefasst war. Die Zeichen auf dieser Seite standen in keinerlei Beziehung zu solchen aus der lateinischen, griechischen oder hebräischen Schrift; sie waren nicht kyrillisch und nicht arabisch und wiesen dennoch keinerlei Verbindung zu einem der Schriftsysteme Asiens auf. Es handelte sich um eine bewundernswert schlichte, saubere und luzide Art des Schreibens – wenn man es denn verstanden hätte. Und Daniel konnte es beinahe. Der Anblick ließ ihn für eine Minute verstummen. Er begann gerade, die Glyphen des Titels zu entziffern, als Saturn einwarf: »Davon habe ich schon mehrere gefunden, Doc – was ist das für eine Sprache?«
    Isaac, der das Blatt in Daniels Hand aus drei Ellen Entfernung betrachtete, beantwortete die Frage: »Das ist das Universale Zeichen«, sagte er, »eine Sprache, die der verstorbene John Wilkins auf der Basis philosophischer Prinzipien erfunden hat, in der Hoffnung, sie werde das Lateinische ablösen. Hooke und Wren haben sie sich eine Zeitlang zu eigen gemacht. Kannst du sie noch lesen, Daniel?«
    »Kannst du es denn, Isaac?«, fragte Daniel; denn es könnte wichtig für ihn sein, das zu wissen.
    »Nicht, ohne noch einmal Wilkins’ Buch zu lesen.«
    »Das ist ein Rezept«, sagte Daniel und hob das Blatt leicht an, »für ein aus Gold hergestelltes Kräftigungsmittel.«
    »Dann vergeude bitte keine Zeit damit, es zu übersetzen«, sagte Isaac, »denn wir alle wissen von der Anfälligkeit des verstorbenen Mr. Hooke für Quacksalberei.«
    »Das ist nicht Hookes Rezept«, sagte Daniel. »Er hat es niedergeschrieben, aber nicht erfunden. Er rechnet es demjenigen als Verdienst an, der der Royal Society gezeigt hat, wie man Phosphor herstellt.« Saturn und diversen anderen Mithörenden sagte das nichts, doch für Isaac hätte er ebenso gut Enoch der Rote sagen können. Damit fand es Isaacs volle und beunruhigend scharfe Aufmerksamkeit. »Bitte fahre fort, Daniel.«
    »Es beginnt mit so etwas wie einer Erzählung. Einem Bericht über etwas, was Hooke irgendwo miterlebt hat...« Längeres Schweigen, während er etwas Schwieriges übersetzte, dann plötzliches Wissen: »Nein, hier! Genau hier, wo wir jetzt stehen. Das Datum, das genannt wird, ist... wenn man meinen Rechenkünsten trauen kann... anno domini 1689.«
    »Dasselbe Jahr und derselbe Ort, an dem auch Eure merkwürdig verfrühte Abschiedsgesellschaft stattfand«, überlegte Saturn.
    Das brachte Daniel einen Moment lang aus dem Konzept, denn es war eine genaue Beobachtung vonseiten Saturns und außerdem ein Umstand, der Daniel entgangen war. »Es begann mit einer medizinischen – nein, einer chirurgischen Prozedur an einem Lebewesen – einem Menschen – männlich – dreiundvierzig Jahre alt.«
    »Aha, ein Zeitgenosse der beiden Herren!«, warf Saturn ein. »Vielleicht kanntet Ihr ihn ja sogar.«
    »Er war sehr krank, und zwar wegen eines Steins. Eines Steins in seiner Blase. Hooke nahm eine Lithotomie vor.«
    »Was, hier!?«, rief Saturn aus und blickte sich um.
    »Ich habe schon welche auf der Straße stattfinden sehen«, sagte Daniel.
    »Es wäre nicht das Seltsamste, was Hooke hier getan hat«, versicherte Isaac Saturn.
    »Das wird umso deutlicher, je gründlicher wir seine Hinterlassenschaften durchgehen«, sinnierte Saturn.
    »Bitte fahre fort, Daniel!«
    »Die Prozedur verlief normal. Der Patient jedoch... der Patient starb«, übersetzte Daniel. Er begann sich unerklärlicherweise benommen zu fühlen und nahm sich einen Augenblick Zeit, sich auf eine staubige Truhe zu setzen, um nicht das Bewusstsein zu verlieren und über die Balustrade in Bedlams Menschenschacht zu stürzen. »Ich bitte um Verzeihung... der Patient starb, wie es häufig geschieht, am Schock. Es war kein Puls mehr zu fühlen. Worauf der gelehrte Mann, von dem ich vorhin gesprochen habe, aus einem Versteck herauskam, von dem aus er die Prozedur beobachtet hatte.«
    »Wie praktisch!«, höhnte Saturn. »Sollen wir etwa glauben, dieser

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