Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Pringle vermisst eine Leiche

Pringle vermisst eine Leiche

Titel: Pringle vermisst eine Leiche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Livingston
Vom Netzwerk:
erinnerte sich an zerrissene,
schmuddelige Vorhänge, zerbrochene Fensterscheiben, die man notdürftig durch
Zeitungspapier ersetzt hatte, und an erbärmlich stinkende Katzen. Nun
schmückten sich dieselben alten Häuser mit Bleiglasfenstern, draußen vor den
makellos weißen Zäunen parkten BMWs, und neben den frisch lackierten
Eingangstüren standen Lorbeerbäumchen in Terrakottatöpfen. Zur neuen Eleganz
gehörte auch, daß die Häuser nicht mehr numeriert waren, sondern Namen trugen
wie ‹Glyzinie›, ‹Geißblatt›, ‹Spanische Wicke› und ‹Fuchsie›. Eines hieß
‹Macavity’s Weidegründe›. Mr. Pringle schüttelte den Kopf. Was das bedeuten
sollte, war ihm schleierhaft.
    Nur ein einziges Haus war der
Umwandlung entgangen. Es befand sich in der Mitte der Reihe. Das Dachstroh hing
in großen Stücken lose herunter, von den Fensterrahmen und der Tür blätterte
die Farbe, und der Putz war fleckig. Die Ligusterhecke, die den Vorgarten
begrenzte, hätte längst gestutzt werden müssen. Und der neureichen Pracht
ringsumher wie zum Hohn flatterten auch noch einige zerschlissene Hemden und
Unterhosen auf der Leine.
    In Mr. Pringles Gedächtnis
rührte sich die vage Erinnerung an ein lange zurückliegendes Erlebnis. Ein
unangenehmes Erlebnis. Er hatte dieses Haus schon einmal betreten, damals, als
er noch ein Junge war. Doch irgend etwas dort hatte ihn erschreckt. Wenn er
doch nur wüßte, was.
    Auch das neunzehnte Jahrhundert
hatte seine Spuren in Wuffinge hinterlassen. Längs der zweiten Seite des
Dreiecks stand eine Anzahl viktorianischer Villen, zwischen denen die zwei,
drei georgianischen Häuser wie verirrt wirkten. Eines von ihnen beherbergte die
Post. Es war ein harmonisch proportionierter Backsteinbau gewesen... bis die
Planungsbehörden zugeschlagen hatten. Jetzt gab es ein falsches Erkerfenster,
das, flankiert von einem Paar Kutscherlampen, als Aushängekasten für die
Ankündigung neuer Sozialhilfesätze und Fernsehgebührenmarken diente. Ein wie es
schien auf Dauer angebrachtes Schild forderte knapp: «Unterstützen Sie den
lokalen Einzelhandel!» Und der kleine Vorplatz, rechts mit einem zeremoniellen
Buchsbaum und links mit einer düster wirkenden Eibe, den sie einst für den Sieg
umgegraben und mit Karotten bepflanzt hatten, war jetzt fußgängerfreundlich
gepflastert.
    Das Häuschen seiner Großmutter,
das an der Dorfstraße gestanden hatte, war abgerissen, ebenso die
Nachbarhäuser. An ihrer Stelle standen jetzt gemeindeeigene Doppelhäuser, die
einigermaßen geräumig schienen. In den Vorgärten sah er überall Kinderwagen,
kaputte Fahrräder und sogar ein paar verrostete, zerbeulte Autochassis, die auf
Backsteinen thronten. An den Eingangspforten waren Pappschilder angebracht.
VORSICHT SCHÄFERHUND! In diesen Häusern lebten die letzten der früheren
Einwohner Wuffinges.
    Zwischen den Doppelhäusern und
den viktorianischen Villen entdeckte Mr. Pringle eine schmale Sackgasse, die
ebenfalls neu sein mußte, — Reynard’s Covert›. Sie war gesäumt von Häusern, die
wie kleinformatige Imitationen sich rustikal gebender Manager-Anwesen wirkten —
inklusive dekorativer Balken aus Plastik. Rüschengardinen, die kaum Licht
durchlassen konnten, verwehrten den Einblick, aus den Innenhöfen drangen
Rauchschwaden, die verrieten, daß die Feuer der Holzkohlengrills sich gegen den
Luftstrom, der von der Autobahn herabdrückte, nur mühsam behaupten konnten.
    Die Autobahn stand als kühner
Betonbogen vor dem makellos blauen Himmel. Das Dorf schien unter ihrem
unablässig an- und abschwellenden Brausen wie betäubt. Früher hatte man von
hier aus einen ersten Blick auf das Herrenhaus aus der Zeit Jakobs I. und die
kleine angelsächsische Kirche werfen können, die am anderen Ende des Dorfes
lagen. Jetzt waren sie durch die wuchtigen Pfeiler der Talbrücke verborgen. Mr.
Pringle freute sich darauf, nach langer Zeit die Erinnerung an sie wieder
auffrischen zu können, doch gerade jetzt im Augenblick nahm die ländliche Natur
mit ihrem Leben und Treiben, das er schon fast vergessen hatte, ihn ganz
gefangen.
    Es war die Zeit im Jahr, da
alle Geschöpfe ihrem Paarungstrieb gehorchen und der ewige Kreislauf des Lebens
wieder aufs neue beginnt. Mr. Pringle beobachtete fasziniert, wie ein schwarzer
Vogel mit weißen Streifen im Gefieder sich mit einem sehr viel kleineren
braunen Vogel paarte, der bereits auf dem Nest saß. Der große Schwarze war mit
Feuereifer bei der Sache und stieß dem Kleinen immer

Weitere Kostenlose Bücher