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Pringle vermisst eine Leiche

Pringle vermisst eine Leiche

Titel: Pringle vermisst eine Leiche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Livingston
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sich
ruckartig nach vorn. Der Mann, den sie Jack nannten, kurbelte sein Fenster
herunter: «Wenn wir sie getrennt haben, bringen wir Ihren Allegro auf den
Parkplatz vom Pub, einverstanden? Und noch was: Seinetwegen braucht es Ihnen
nicht leid zu tun...» Er zeigte mit dem Daumen nach rückwärts in Richtung Sarg.
«Der war früher Beamter.»
    Die merkwürdige Prozession
bewegte sich die Dorfstraße hinauf, und Mr. Pringle war auf einmal
mutterseelenallein, gestrandet im Land seiner Vorväter. Ringsum herrschte jetzt
tiefe Stille, die nur ab und zu unterbrochen wurde vom Gurren einiger
Ringeltauben. Doch dann hörte er, wie sich eine Tür öffnete, jemand hustete,
und eine Stimme rief: «Woll’n Se ‘n Tee?»
    Im Eingang von Nr. 8, dem
heruntergekommenen Haus mit der verschlissenen Wäsche auf der Leine, stand eine
Frau und griente ihn an. Unter einer Schürze trug sie eine durchsichtige Bluse,
so daß er ihr schmuddeliges Unterhemd sehen konnte. Sie war noch in
Hausschuhen, die Haare schienen lange nicht gekämmt zu sein, die unregelmäßigen
Zähne waren gelblich und ungepflegt. Er hatte das unangenehme Gefühl, sie zu
kennen. Noch etwas zittrig erhob er sich. Seine Oberlippe pochte, und er
wünschte nichts sehnlicher, als sich irgendwo verkriechen zu können. Während er
auf sie zuging, überlegte er angestrengt, wer sie sein mochte.
    Sie versetzte der wackligen
Gartenpforte einen kräftigen Tritt, so daß sie aufsprang. Dabei rutschte ihr
Rock ein Stück nach oben, und ihr Schlüpfer lugte darunter hervor. Auf einmal
erinnerte er sich. Die kleine Elsie! Eine Welle von Scham überflutete ihn. Die
kleine Elsie, die allen, die nach der Schule hinter dem Fahrradschuppen auf sie
warteten, ihre Unterhosen gezeigt hatte und für eine Half-crown-Münze noch
viel, viel mehr als das. Oh, Gott.
    «Wir kennen uns doch, oder?»
Sie grinste vertraulich.
    «Pringle, G.D.H.» Er hoffte,
daß es kühl und unpersönlich geklungen hatte. Ihr Kichern irritierte ihn. Sie
drückte gegen die verzogene Holztür.
    «Komm’ Se rein.» Drinnen war es
stockdunkel. Er machte einen Schritt nach vom und stieß mit dem Kopf an. «Aua!»
    «Vorsicht, Balken!» Instinktiv
streckte er die Hand vor, um sich vor weiteren Überraschungen zu schützen, und
berührte seitlich eine Wand. Sie fühlte sich schmierig an. Er war jetzt in einer
Art Wohnzimmer und sah, daß die Wand an dieser Stelle gräulich verfärbt war.
    «Die Leute stoßen sich immer
den Kopf an dem Balken da», bemerkte Elsie in sachlichem Ton, «und anschließend
strecken se die Hand nach vorn, um zu tasten, wo se sind. Ich glaub, das war
so, seit das Haus gebaut wurde. Deshalb lohnt es sich auch nicht, an der Stelle
was zu machen. Die Leute fassen ja doch immer wieder hin.»
    Seit dreihundert Jahren
tischten die schlampigen Bewohnerinnen von Nr. 8 den ahnungslosen Besuchern,
die sie in ihr Haus lockten, diesen Spruch auf. Mr. Pringle schüttelte sich
innerlich. Die allgemeine Angst vor Aids erschien ihm in diesem Augenblick
direkt lächerlich. Wer konnte ihm denn garantieren, daß er nicht mit seiner
Hand die schweißig-fettigen Absonderungen eines Bauerntölpels aus der Zeit
Elisabeths I. berührt und sich soeben mit Blattern infiziert hatte.
    Unsicher machte er ein paar
Schritte nach vorn und quetschte sich zwischen einer Katze und ihren Jungen auf
ein altes Sofa. Elsie hatte einige Zeitungen jüngeren Datums mit Berichten vom
Festivalsommer in Großbritannien zerrissen und den Jungen als Unterlage
gegeben. Auf dem steinernen Fußboden stapelten sich ältere Ausgaben. Mr.
Pringle bemerkte überrascht, daß hier und da Mäusekot lag, doch dann sah er,
daß die Augen der Katze trübe waren. Grauer Star, dachte er, das wäre eine
Erklärung.
    Elsie war in der Kochnische
verschwunden und bewegte kraftvoll den Pumpenschwengel auf und ab. Sie bemerkte
sein Erstaunen.
    «Bei den Nachbarn iss alles
modern. Rechts und links habense fließend Wasser.»
    «Ah, ja?»
    «Aber wir wollen es so haben
wie in der Natur. Keine Wasserhähne, kein Wasserklo im Haus, alles ganz
ursprünglich.» Ein Schwall bräunlichen Wassers ergoß sich in den Kessel. «Das
hier kommt aus dem Brunnen, den schon Großvater benutzt hat. Da iss keine Spur
von Chemie drin.» Wie schön für die Bakterien, dachte Mr. Pringle.
    «Ich habe mir für meinen Besuch
in Wuffinge ja einen traurigen Tag ausgesucht», bemerkte er. Tod und Beerdigung
schienen ihm ein unverfängliches Thema. «War der Verstorbene jemand, den

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