Prinz-Albrecht-Straße
Krieg aus. Und der Führer macht Geschichte. Und nie war die Zeit so groß wie jetzt. Und ich bin stolz darauf, daß er gefallen ist. Stolz … dröhnte es wieder.
Und Margot saß am Schreibtisch des Arztes und füllte das Rezept aus, verordnete sich Schlafmittel.
Plötzlich stand die Platte still, war es ruhig, schien der ganze Hexensabbat verschwunden. In ihrem Kopf entstand ein Gedanke, doch nicht an den Mann, der sie herausgeholt hatte, und nicht an ihren Vater, es fiel ihr auch nicht ein, daß es gegen diesen Entschluß keine Revision mehr gab.
Margot hatte ein Ziel. Es lag nur ein paar Meter weit. Sie ging ins Bad. Sie nahm alle drei Röhrchen auf einmal, ließ die Tabletten in das leere Glas fallen, füllte es mit Wasser, zerrieb es zu einem widerwärtigen Brei, den sie an den Mund setzte, um für immer Schluß zu machen, ein für allemal mit dem Kelch des Leids … um Ruhe zu haben, Stille, Frieden … in einer Ewigkeit ohne Krallenkreuz …
82
Heydrich wohnte als stellvertretender Reichsprotektor von Böhmen und Mähren in einem requirierten Schloß außerhalb Prags. Der 27. Mai 1942 war ein schöner, sonniger Tag, an dem schon der Morgen die Menschen verwöhnte. Heydrich hatte noch vor dem Aufstehen die Tagesmeldungen des Reichssicherheitshauptamtes gelesen. Er verstand es auch von Prag aus, seine eigentliche Dienststelle spielend zu beherrschen. Es gehörte zu seinem System, oft zwei bis drei Sachbearbeiter an einen Fall zu setzen, die voneinander nichts wußten und sich dadurch automatisch überwachten. So hatte es der SS-Obergruppenführer fertiggebracht, seinen eigenen Apparat perfekt zu kontrollieren. Auch nach der räumlichen Trennung gab es in der Prinz-Albrecht-Straße nichts, was ihm verborgen geblieben wäre.
So wußte er schon seit Tagen, daß eine deutsche Opponentengruppe in Schweden mit dem britischen Secret Service Verbindung aufgenommen hatte und daß es gelungen war, einen Gegenspieler ›umzudrehen‹. Das war absolut üblich in diesem seltsamen Gewerbe. In dem Gewirr von Spionage und Gegenspionage kannte sich kaum einer mehr aus. Als später in Ankara dem RSHA ein ganz großer Coup gelang, der als ›Fall Cicero‹ weltberühmt werden sollte, wertete man auf deutscher Seite die Dokumente nicht aus, weil man sie für falsch hielt und annahm, der Secret Service habe sie dem deutschen Nachrichtennetz bewußt in die Hände gespielt.
Hier war es anders. Es handelte sich um Gegner im Innern Deutschlands, um Generäle und Politiker, die untergetaucht waren und auf eine Chance warteten, um Hitler zu beseitigen. Es konnte auf keinen Fall schaden, Leute dieser Art zu verhaften, auch wenn die eine oder andere Information nicht stimmte.
Plötzlich stieß Reinhard Heydrich auf den Namen Stahmer. Er überlegte einen Augenblick. Stahmer. Das war nicht schlecht. Der Mann war geschickt und mußte korrekt spielen, ob er wollte oder nicht. Der Obergruppenführer las weiter und wurde sofort hellwach, als er erfuhr, daß Stahmer in Begleitung einer politisch Verfolgten nach Schweden geschleust werden sollte. Noch bevor er auf den Namen Lehndorff stieß, durchschaute er die Absicht Stahmers, wußte er, daß der Agent fliehen wollte und das Faustpfand befreit hatte.
Er klingelte seinem Adjutanten, wies auf die Meldung. »Stoppen Sie unverzüglich diese Geschichte«, sagte er, »lassen Sie Stahmer festnehmen und hierher überstellen.« Er lächelte fahl. »Ich will mir den Mann persönlich vornehmen.«
Er hatte das Komplott durchschaut, und das hob seine Laune. Er ließ den Wagen fertig machen. Es war noch früh, gegen acht Uhr dreißig. Sein ständiger Fahrer war erkrankt. Er befahl der Aushilfe, das Verdeck des gepanzerten Mercedes-Wagens zurückzuschlagen. Das schöne Wetter dieses Tages machte buchstäblich Geschichte, denn es ermöglichte erst das längst vorbereitete Attentat. Der SS-Obergruppenführer saß vorn im Wagen neben dem Fahrer. Kaum einer drehte sich nach ihm um, obwohl der Wagen durch seinen Stander auswies, wer der Insasse war.
Heydrich gab die Anweisung, mit mäßiger Geschwindigkeit zu fahren. Die Stadt, deren Außenbezirke er erreicht hatte, bot einen friedlichen, fast friedensmäßigen Anblick.
In der Nähe des Prager Städtischen Krankenhauses, der Bullovka, machte die Straße eine scharfe Kurve. Hier standen, von niemand beachtet, zwei Arbeiter und genossen offensichtlich den schönen Tag. Sie unterhielten sich miteinander. Von ihrem Standort aus konnte man die ganze
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