Prinz-Albrecht-Straße
du nicht anders kannst …«
»Aber wir müssen doch eine Zukunft haben!« setzte Stahmer gepreßt hinzu.
»Am wichtigsten ist … daß wir uns haben«, erwiderte Margot fest, obwohl sie selbst manchmal resignieren wollte.
Die Vernunft schrieb ihnen ganz andere Wege vor. Aber Stahmer war zu schwach, um auf Margot zu verzichten, und sie war zu stark, um von ihm zu lassen. Das war die eigenartige Grundlage ihrer Beziehung, und da sie nicht über sie hinauskamen, mußten sie auf dem schmalen Schwebebalken der Unsicherheit weiter balancieren.
Sie saßen auf einer Bank, hielten sich an den Händen und sagten sich Worte, wie man sie nur in einer solchen Stunde findet. Von den sieben Hügeln her verwehten die Glocken die Zeit. Alles in dieser Stadt war historisch gewachsen, war Atem der Geschichte: die Kirchen, die Gebäude, die winkeligen Gassen.
Die lärmenden SA-Feiern nahmen davon keine Notiz. Die Männer in den Braunhemden grölten: »Ein Volk! Ein Reich! Ein Führer!«
Ein Schluck, ein Ruck, ein Rülpser folgten dem heiseren Geplärr.
Stahmer und Margot brauchten es nicht zu hören. Im Hain war es dunstig und kalt. Und trotzdem spürten sie beide, wie ihnen Wärme aus den Herbstnebeln zuwuchs. Und sie froren nicht mehr. Sie verloren den Begriff für die Stunde. Aber die Nacht schritt unaufhörlich fort.
Eine entsetzliche Nacht.
Fast gleichzeitig sahen sie den blutroten Schein am Himmel.
Es brannte ganz in der Nähe.
Sie verließen mit hastigen Schritten den Hain. Das Feuer markierte überdeutlich den Weg. Mit jedem Schritt wurden die Flammen größer und greller. Sie passierten die Ottostraße, die die beiden Arme der Regnitz miteinander verbindet, und bogen in die Herzog-Max-Straße ein.
»Die Synagoge«, sagte Stahmer erschrocken.
Sie gingen zögernd näher, sahen vierzig, fünfzig uniformierte Gestalten um die Brandstelle stehen. Margot mußte unvermittelt lachen.
»Hast du schon einmal so etwas gesehen«, sagte sie, »die SA löscht eine Synagoge …«
»Löscht?« fragte Stahmer.
Er begriff schnell. Er wußte, an welchem neuen Plan die Prinz-Albrecht-Straße gearbeitet hatte …
Sie standen jetzt unmittelbar vor dem brennenden jüdischen Gotteshaus.
»Weitergehen!« brüllte ein SA-Mann.
Sie blieben betroffen stehen. Das Feuer fraß sich hell in die Nacht. Sein Schein spiegelte sich noch an der Fassade des Justizpalastes, züngelte über das steinerne Gesicht der ›Justitia‹. Im Zwielicht lag sie da, die Residenz der Gerechtigkeit, das Domizil der Richter, deren Herzen unter dem Hoheitszeichen schlugen, in deren langen Unterhosen das Unrecht schwitzte.
»Komm«, sagte Margot und blieb nach ein paar zögernden Schritten wieder stehen.
Ein Mann stand vor der Synagoge: Kommerzienrat Lenz, der Wohltäter und Ehrenbürger dieser Stadt. Er ging auf die Brandstifter zu, bereit, den braunen Schatten zu überspringen, das Gewicht seiner allgemein verehrten Persönlichkeit gegen den Terror einzusetzen. Er kam näher, hob die Hand, ein weißhaariger, gebeugter Moses, der das Rote Meer teilen wollte und in der braunen Flut untergehen würde.
Ein junger Bursche in mostrichfarbener Breeches-Hose, der in dem von Lenz großzügig unterstützten Waisenhaus aufgewachsen war, griff sich den Kommerzienrat, schlug ihn mit dem Kopf gegen die ausgebrannte Kirchenmauer. Wieder und wieder. So lange, bis Lenz, dessen ganzes Vermögen der Wohlfahrt dieser Stadt zugute gekommen war, ausgeröchelt hatte.
Die Feuerwehr stand ›Schlauch bei Fuß‹; die Polizei hatte ihr das Löschen verboten.
»Mehr Benzin!« brüllte ein Parteiführer. »Ihr Dummköpfe könnt nicht einmal eine Judenburg anzünden!«
Im gleichen Moment wurden neue Kanister angeschleppt und durch ein Seitenfenster geworfen. Ein junger Bursche im Braunhemd hielt die hohle Hand vor den Mund und grölte:
»Jehova schwitzt …!«
Margots Augen tränten. Der Rauch beizte ihr die Augen. Sie lehnte sich leicht an Werner Stahmer und zitterte. Die Brandstifter waren betrunken. Das Bier stützte ihre Weltanschauung. Vor dem Attentat waren sie von Kneipe zu Kneipe gezogen. Je unsicherer sie auf den Beinen standen, desto blutrünstiger wurden ihre Drohungen. Der Führer hielt sie heute zechfrei. Die Mordbrenner wußten, daß sich die Instinkte, die sie einst zur Bewegung geführt hatten, heute ausleben durften; die Lust, in Massen zu heulen; die Wonne, in Horden zu prügeln; die Gier, in Haufen zu plündern.
So zogen sie vor die Synagoge. Vor dem
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