Prinz-Albrecht-Straße
Stahmer fand in seinem Briefkasten eine Einladung zu einem Treffen früherer Schüler in seiner fränkischen Heimatstadt. Er bat um Urlaub und erhielt ihn, weil Heydrich in Kleinigkeiten großzügig sein konnte.
52
Als er in Begleitung Margots in der Stadt der sieben Hügel eintraf, wirkten die Hakenkreuzfahnen wie Warzen im Gesicht der alten Kaiser- und Bischofs-Stadt. Die Lautsprecher feierten Hitlers Marsch auf die Feldherrnhalle, bei dem als einziger der General Ludendorff nicht davongelaufen war.
Werner Stahmer machte sich so wenig aus seiner alten Schule, wie seine alte Schule sich um ihn kümmerte. Aber er fand sich am nächsten Tag dennoch ein, begrüßte Mitschüler, die er längst aus den Augen verloren hatte, stand lächelnd in der Aula.
Sie war dicht gefüllt. An den verschnörkelten Wänden prangten in Goldschrift die Namen berühmter Deutscher. Dr. Dr. Schütz, der Direktor der Anstalt, hatte einige auswechseln lassen, weil jetzt neben dem arischen Nachweis auch noch die politische Unbedenklichkeit gefordert wurde. Heinrich Heine wich vor Theodor Körner, und Mendelssohn mußte vor Bruckner kapitulieren. Goethe hielt sich noch tapfer an der Stirnseite, rechts flankiert vom renovierten Schiller und zur Linken vom gefährdeten Lessing.
Stahmer stieß Margot an. Er hielt sich immer noch für unpolitisch. Aber wie man jetzt in der gleichen Anstalt mit einem Pinselstrich jene geistige Prominenz erledigte, mit der man ihn früher traktiert hatte, das fand er belustigend, obwohl es natürlich widerwärtig war.
Genauso widerwärtig wie der Anstaltsleiter da vorn am Rednerpult, an dessen Kanten das zu breite, grellrote Tuch recht liederlich mit Reißnägeln befestigt war. Die Krallen des Hakenkreuzes verloren sich an den Ecken wie riesige, plumpe Spinnenfinger.
»Verehrte Kollegen, liebe Schüler«, begann Dr. Dr. Schütz, »heute ist ein stolzer Tag der deutschen Geschichte … Wieder hat der Führer auf das Großdeutsche Reich einen Baustein gelegt …«
Seine Stimme war erhoben, nicht erhaben. Die Worte kamen wuchtig, aber nicht gewichtig. Das Pathos war gewollt, aber nicht gekonnt. So überzeugend quacksalbert nur einer, der lügt, dachte Stahmer belustigt.
Jetzt wurde die Stimme des Redners noch höher, geriet ins Fisteln. Seine Gesichtshaut war fahl, fast schlaff. Sein Kopf war so kahl wie seine Ausstrahlung dürftig. Seine Augen wirkten halb grün, halb braun, als wollten sie schon äußerlich die Charakterlosigkeit dieses karrierewütigen Spießers zeigen.
Er streifte Leonidas, ging zu den Goten über und erreichte über Barbarossas Römerzüge wieder die geschichtliche Größe seines Führers. Aber die Sätze dieses gewerbsmäßigen Deutschlehrers wirkten hausgemacht und unvollständig. Er lehrte die Syntax für die Schule, nicht für das Leben.
Endlich war er fertig.
»Komm«, sagte Margot.
»Brrr …«, schüttelte sich Werner Stahmer.
»Jetzt versteh' ich, daß du kein guter Schüler warst«, sagte das Mädchen, »unter so einem Direktor …«
»Der ist doch neu«, versetzte Stahmer. »Der alte wurde in die Wüste geschickt und durch diesen Radfahrer ersetzt …«
»Gute Straßenlage«, ging Margot auf seinen ironischen Ton ein, »der nimmt jede Kurve.«
»Bestimmt«, bestätigte Stahmer, »wer weiß schon, was er früher war … und was er später einmal sein wird …«
Im übrigen ließen sie sich den Tag durch Dr. Dr. Schütz nicht verderben. Es war für sie nur schlechter Geschmack, beileibe kein Politikum, höchstens ein Kriterium der Zeit, die so viele Schützens hervorbrachte, als es käufliche Ehrgeizlinge in Deutschland gab.
Stahmer zeigte Margot die Stationen seiner törichten Jugendtaten, ging Bekannten aus dem Weg und schlenderte am Abend mit ihr über die gepflegten Sandwege des Hains, der am Stadtrand lag. Er war der Pärchenpark der Stadt und lag jetzt verlassen da. Die Luft war schwer und kalt. In ihr lag die Traurigkeit des Herbstes.
Sie gingen eng aneinandergelehnt. Unter ihren Schritten knirschte der Boden.
»Es wird bald schneien«, sagte Margot.
»Magst du Schnee?« fragte Stahmer.
»Nein … nicht besonders«, erwiderte das Mädchen.
»Wieso?«
»Ich mag nichts, was einem in der Hand zerrinnt«, versetzte Margot leise.
»Wie wir … wie unsere Zukunft«, antwortete Stahmer grollend. »Ich weiß, was du sagen willst«, fuhr er fort, »daß ich ein Schwächling bin … ein …«
Margot blieb stehen. »Nein«, entgegnete sie, »ich weiß, daß
Weitere Kostenlose Bücher