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Prinz-Albrecht-Straße

Prinz-Albrecht-Straße

Titel: Prinz-Albrecht-Straße Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
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Eingang hatten sie ein paar Minuten unschlüssig gestanden, nicht von der Würde des Ortes gebannt, sondern von einem massiven Eisengitter aufgehalten. Dann schlug es einer von ihnen ein und schwang sich nach innen. Die anderen folgten, soweit sie ihre rundlichen Körper durch den schmalen Einstieg zwängen konnten. Die SA-Leute spielten mit silbernen Leuchtern Fußball, fanden Zylinderhüte, stülpten sie über ihre Köpfe und lachten schallend. Andere räumten wertvolle Gebetsteppiche auf die Seite, nicht um sie zu retten, sondern um sie zu stehlen. Dreimal war das Feuer wieder ausgegangen.
    Dann loderte Benzin wider Gott …
    Inzwischen standen die anderen Mordbrenner vor dem Gebäude Schmiere. Sie haben die gleichen Gesichter wie die Männer aus den Kellern der Prinz-Albrecht-Straße, dachte Stahmer. Im Angesicht des Frevels merkte er fast unbewußt, daß er nicht mehr ›unpolitisch‹ war. Er sah in die Flammen, und er glaubte, dahinter den zuckenden Kopf des Dr. Dr. Schütz zu sehen, der gewiß bei dieser vulgären Verrichtung nicht dabei war, die Decke des bürgerlichen Wohlanstandes bis an das Kinn gezogen hatte und traumlos schlief, ohne zu bedenken, daß Männer seines Schlages Zuhälter der Kirchenschänder waren. Kriminelle gibt es in jedem Land, sie werden gefaßt und verurteilt. Aber in Deutschland mischten sich Männer vom Schlag eines Schütz wider besseres Wissen unter die Kriminellen, die Hände an der Hosennaht, ihr Gewissen in der Kloake, Scheuklappen vor den Augen, nur ein Ziel im Kopf: Karriere zu machen, Karriere noch um den Preis brennender Gotteshäuser …
    Die Mordbrenner vertrieben sich die Zeit auf ihre Weise, verprügelten Passanten, tranken aus der Flasche, übergaben sich oder sangen das Horst-Wessel-Lied. Ein jüdisches Ehepaar wurde in den Lichtkreis gezerrt. Der Mann, ein alter Herr schon, mußte auf einen Haufen Ziegelsteine steigen und dreimal sagen: »Ich bin ein Saujud!«
    Dann wollten ihn die Rabauken ziehen lassen, aber ein Truppführer riß den Dolch heraus, stürzte sich auf den Mann. Die Frau trat dazwischen und fing den Stoß mit ihrem Arm ab.
    Das Blut rann, die Synagoge brannte, die Flasche kreiste …
    Jetzt kündeten die Glocken von den Domtürmen, die wie vier ausgestreckte Zeigefinger der Geschichte das Grab des deutschen Kaisers Heinrich bewachten, die zweite Stunde des grauenden, des grauenhaften Tages.
    Werner Stahmer zog Margot weiter. Sie ging, wie geschoben, wie gezogen, mit unsicheren Schritten. Sie blieb stehen, drehte sich um. Züngelnder Lichtschein huschte über ihr verweintes Gesicht.
    Sie sahen sich an. Sie spürten etwas, das sie nicht aussprachen. Sie merkten, daß mehr in den Flammen der Zeit brannte als diese Synagoge. Sie sahen ihre Gefühle, ihre Zukunft auf dem Scheiterhaufen. Und sie wollten es voreinander verbergen. Die lodernden Flammen ließen es nicht zu.
    Stahmer und Margot sprachen nicht mehr darüber. Am nächsten Tag fuhren sie nach Berlin zurück. Werner Stahmer wollte endgültig Schluß machen.
    Er kam von der entscheidenden Unterredung mit Heydrich mit dem Befehl zurück, die Auslösung des Zweiten Weltkriegs vorzubereiten …

53
    Dieser August des Jahres 1939 war drückend heiß. Die strahlende Sonne brannte mitleidlos auf die Menschen. Selbst die Nächte brachten keine wirkliche Abkühlung nach der lastendschwülen Hitze des Tages. Erbarmungslos legte der Hochsommer seine Hand auf die Millionenstadt Berlin. Die fast täglichen Abendgewitter brachten kaum Linderung; es war, als ob hinter den schwarzen Wänden erst der richtige Sturm wartete.
    Die Menschen wirkten zerfahren und gereizt. Nicht nur in Berlin. Es war Urlaubszeit, aber keiner fuhr weit weg. Nur die Vorortszüge waren überfüllt. Die Lautsprecher plärrten vom Frieden. Die Menschen redeten vom Krieg.
    Die Post trug in Überstunden die Einberufungsbefehle aus. Die Wehrmacht riß die ersten Lücken in die Privatbetriebe. Langsam wurde das Straßenbild feldgrau. Die Sendestationen spuckten Schlagzeilen in den Äther. Schlechten Nachrichten folgte miserable Musik. Das Lied der Zeit bestand aus dumpfen Tubatönen und dummen Paukenschlägen. Nach jeder Sendung bliesen Blechinstrumente den ›Marsch der Deutschen in Polen‹. Blech war alles. Der Marsch wie das Wort. Der Deutschlandsender kam mit einem Minimum an deutscher Sprache aus …
    Denn Adolf Hitler redete. Das Schicksal veranstaltete Gemeinschaftsempfänge. Des Führers Stimme lag so schwer wie die Hitzewelle

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